Initiative `Wir-sind-wichtig - Der Wirtschaft zuliebe !´C. Kölln und C. Köpp bei den Aufnahmen zu `Gehobene Narrenfreiheit´ (1996) in Hamburg-Eilbek




HÖRSPIEL-SCRIPT

Getrübte Einigkeit

(Teil I - II - III - IV - V - VI - VII - VIII - IX - X):


"Freizügigkeit, Selbstzweifel und Gehirnwäsche"




LINDA (Journalistin, Gattin, Kundin, Modernistin)


ARNO (Industrieller, Verkäufer)


DORIS (Terroristin, Realistin, Kundin)


RICHARD (Kriecher, Maler, Skeptiker)



LINDA Wir haben es ja wirklich alle miteinander geahnt, dass diese

übermäßige Freizügigkeit, die wir Leuten wie Ihnen, die das in

keiner Weise zu schätzen wissen, gewähren, eines Tages mit

voller Wucht auf uns zurückprallen würde.

Aber musste es denn gleich so schlimm kommen ?

DORIS Sie müssten das jetzt wirklich selber sehen: Wie Sie sich winden ;

Und wie Sie es verdient haben !

ARNO Sie haben wohl nur noch Spott für Ihre Mitmenschen übrig !

DORIS Ach, Spott ist das nicht - In mir steigt nur langsam die Wut hoch,

wenn ich mir mit ansehen muss, wie Sie und Ihre spießige Bekannte

versuchen, einen so gutmütigen Menschen, wie Richard zu unter-

drücken.

Sie behandeln ihn die ganze Zeit über wie einen Unmündigen und

halten ihn künstlich dumm, nur weil Sie keinen Widerspruch ertragen

können.

ARNO Also, ich sehe nirgends Widersprüche. Kann mir bitte mal jemand

verraten, wo hier Widersprüche zu finden sein sollen ?

DORIS Sie machen das ganz raffiniert, muss ich sagen.

ARNO Jetzt hören Sie mir bitte mal zu, junge Frau: Es ist für mich ja gerade

noch so tolerierbar, wenn Sie aufgrund Ihrer Unbedarftheit unsere

Gesellschaftsordnung als solche ablehnen.

Diese erlegt uns, die wir sie akzeptieren und schätzen, ja schließlich

auch auf, Leute wie Sie nicht sofort aus dem Verkehr zu ziehen.

LINDA Die Versuchung wäre wirklich groß - gerade jetzt.

DORIS Ach ja ?

ARNO Was -finde ich- zu weit geht, ist, wenn jemand wie Sie mit Ihrem

Unschuldslächeln in der Gegend herumläuft und Leuten, die bis

dato mit ihrem Leben vollauf zufrieden waren, mit Ihren abstrusen

Ideen absolut überflüssige Selbstzweifel ins Hirn setzt.

LINDA Soweit war unser Freund Richard nämlich immer glücklich.

Ich habe ihn jedenfalls nie klagen hören. Jedenfalls nicht, wenn

man ihn nicht direkt auf seine mangelnde Lebensfreude hin ange-

sprochen hat.

DORIS empört: Was sind Sie bloß für falsche Freunde !

Jetzt, wo ich Sie beide kennengelernt habe, empfinde ich für

Richard noch mehr Mitleid als vorher.

ARNO Ich möchte hier mal feststellen, dass wir Sie in keiner Weise dazu

ermutigt haben, uns mit Ihrer Meinung zu behelligen.

Und bei Richard hätten Sie ebenfalls besser daran getan, sich zu-

rückzuhalten. Sie sehen ja selbst, in was für einem bemitleidenswerten

Zustand er sich jetzt befindet. Oder wollen Sie den vielleicht auch noch

leugnen ?

LINDA Wundern würde es mich nicht.

DORIS Ich habe mir lediglich die Freiheit genommen, ihm einige Denkanstöße

zu geben, das ist alles.

LINDA Denkanstöße ! Das klingt doch wohl etwas zu harmlos.

DORIS Richard ist doch ein freier Mensch, oder ? Wenn ihn jemand einengt

mit seinen obsoleten Verhaltensregeln, dann doch wohl Leute wie Sie. Oder noch schlimmer: Freunde wie Sie.

ARNO Hörst du, Richard ? Alleine schon ihr Tonfall !

Sag selbst: Klingt doch total aggressiv, oder ?

LINDA Natürlich klingt sie aggressiv ! Sie weiß schließlich, dass sie auf ver-

lorenem Posten steht.

Aber das hindert sie ja nicht - im Gegenteil.

DORIS amüsiert: Wie Sie sich aufregen !

ARNO Sie sagten es bereits.

LINDA Sind Sie wirklich nicht imstande, sich auszumalen, in was für ein

Chaos dieses Land geraten würde, wenn selbst schon die simpelsten

Gemüter, wie unser Richard hier, die schließlich das Fundament

unserer Gesellschaft bilden, plötzlich damit beginnen würden, den

Status quo auf den Kopf zu stellen ?

ARNO Denken Sie doch mal an die ganzen Familien, die Ehen, die Greise,

die Kinder - Die müssen doch irgendwoher geschützt werden, meinen Sie nicht ?

DORIS Warum gestehen Sie Ihrem Richard denn nicht zu, selber zu ent-

scheiden, nach welchen Vorstellungen er leben will ?

Ihre Argumentation ist -und das wundert mich wirklich überhaupt

nicht- undemokratisch und typisch patriarchalisch.

LINDA Natürlich ! Und vermutlich auch noch sexistisch, was ?

DORIS Wie bitte ?

LINDA Entschuldigen Sie ! Das war doch nur ein kleiner Scherz, nichts für

ungut.

ARNO Moment mal ! Haben wir uns denn wirklich zu entschuldigen ?

Wir wollen unseren Freund doch lediglich vor der esoterischen Gehirnwäsche dieser verirrten jungen Frau in Schutz nehmen. Das ist

doch wohl Rechtens ! Das muss doch wohl noch Rechtens sein !

LINDA Ich habe mich wohl hinreißen lassen. Mich zu entschuldigen !

Bei dieser Frau muss man ja richtig auf der Hut sein, sonst dreht sie

den Spieß glatt um. Das hast Du jetzt ja wohl hoffentlich auch gemerkt.

Nicht wahr, Richard ?

RICHARD Aber durch Doris bin ich das erste Mal richtig zum Nachdenken ge-

kommen.

DORIS Sehen Sie ?

LINDA Nachdenken - was heißt das schon ? Wir haben doch wohl alle mal einen nachdenklichen Tag, nicht wahr ? Deshalb muss sich doch noch

lange nichts ändern - Und schon gar nichts Bewährtes.

ARNO Völlig meine Meinung.

DORIS Also, meine nicht.

RICHARD Ich muss schon sagen: Ich sehe die Dinge anders, jetzt.

LINDA Oh, mein Gott ! Sehen Sie nun, was Sie da angerichtet haben mit

Ihrem leichtfertigen Gerede ? Richard war doch bis heute immer die

Selbstsicherheit in Person.

DORIS Ich habe ihm nur gesagt, dass er nicht dazu verpflichtet ist, um jeden

Preis zufrieden zu sein. Niemand kann ihn schließlich dazu zwingen:

Die Gesellschaft nicht und Freunde wie Sie auch nicht.

ARNO Aber Du bist doch zufrieden, nicht wahr, Richard ? Du warst doch

immer zufrieden.

RICHARD Gewohnheit kann töten. Sie kann Gefühle töten mit der Zeit.

LINDA Ist es wahr ! Seit wann redest Du denn so melodramatisch daher,

Richard ?

ARNO Wahrscheinlich seit er sie kennengelernt hat.

RICHARD Sie kann töten und sie schreckt auch nicht davor zurück, die Liebe in

einer Ehe zu töten. Wußtet Ihr das nicht ? Habt Ihr noch nie etwas

davon gehört ? Erzählt mir doch nichts ! Ihr kennt das Problem.

LINDA Diese Frau ist gefährlich, das wird mir jetzt ganz deutlich.

DORIS belustigt: Lächerlich !

ARNO Das mit der Liebe, die verschwindet: Das ist eben der Lauf der

Dinge, Richard. Glaubst Du wirklich, Du hättest ihm in deinem Alter

noch etwas Wirkungsvolles entgegenzusetzen ?

LINDA Und selbst wenn: Glaubst Du denn, Du könntest noch einmal ganz

von vorne anfangen ?

RICHARD Ich weiß nicht. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät. Ich könnte es zu-

mindest versuchen.

DORIS Da seht Ihr, wie lebendig Euer Richard noch ist. Bravo !

Klatscht demonstrativ Beifall.

LINDA Man muss sie unbedingt daran hindern, noch weiteres Unheil anzu-

richten. Diese Sache mit der lieblosen Ehe zum Beispiel.

Ich meine: Dieses angebliche Augenöffnen darüber. Was, wenn er

sich jetzt etwas angetan hätte aus Enttäuschung ?

DORIS Ach, aus Enttäuschung ? Na bitte. Sie geben also zu, dass Richard

sehr wohl einen Grund hätte, unzufrieden zu sein.

ARNO Nein, natürlich nicht !

LINDA Er hat überhaupt keinen Grund, über irgend etwas unzufrieden zu sein.

Das ist mir eben nur so rausgerutscht.

RICHARD Bleibt mir nur noch, mich von meiner Frau zu trennen. Vielleicht ist es

auch für sie noch nicht zu spät.

ARNO Nun mal ganz langsam. So etwas wirst Du doch wohl nicht über-

stürzen. Überhaupt: Warum bist Du denn nicht schon früher zu uns

gekommen als Du Zweifel hattest ?

DORIS Ach ! Und Sie wären darauf eingegangen, ja ?

LINDA Du hättest doch mal mit uns reden können als Du Probleme hattest.

Warum hast Du das nicht getan ? Dazu sind Freunde doch da.

Wir waren doch früher auch immer einer Meinung.

DORIS Sie meinen, Richard hatte Ihrer Meinung zu sein. Das trifft doch wohl

eher zu.

RICHARD Es ist ja auch nicht nur meine Ehe, die mir mit einem Mal Kopfzer-

brechen bereitet ; Ich weiß jetzt, dass ich mir auch über meine Unent-

behrlichkeit in meinem Beruf etwas vorgemacht habe.

ARNO Auch das noch !

RICHARD Ich bin entbehrlich. Jeder ist mehr oder weniger entbehrlich.

DORIS So etwas muss man einfach akzeptieren, dann kommt man besser

zurecht, langfristig. Jeder ist ersetzbar.

ARNO Laß dir da nichts einreden, Richard !

LINDA Um Himmels Willen: Hör nicht auf sie, Richard !

RICHARD Ich bin halt auch nur ein Rad im Getriebe. Das festzustellen hat

lange gedauert bei mir. Aber wißt Ihr: So schlimm ist es eigentlich

gar nicht. Wirklich !

LINDA Jetzt wird mir auf einmal alles klar: Sie ist eine Linke.

Natürlich ! dass ich da nicht schon früher drauf gekommen bin !

ARNO Ja, klar !

LINDA Alleine schon diese Terminologie: „Rad im Getriebe“ - Das ist doch

wirklich typischstes Gewerkschaftskauderwelsch !

DORIS Bitte ?

LINDA Sagen Sie: Warum diskutieren Sie Ihre Ansichten nicht einfach mit

irgendwelchen Hausbesetzern aus und verschonen Richard in

Zukunft mit derlei Gedankengut ?

ARNO Genau, agitieren Sie gefälligst jemand anderen !

DORIS Jetzt drehen Sie wohl völlig durch, was ? Wie kommen Sie darauf,

dass ich ihm irgendetwas einreden will ?

LINDA Hör mal, Richard: Wenn Du auch mit deiner Ehe und deinem Beruf

unzufrieden bist, so hast Du doch zum Glück noch deine drei Kinder.

Die bleiben dir schließlich trotz aller Zweifel. Das ist doch immer ein

Trost, nicht wahr ?

RICHARD Schon. Aber ich muss sagen, die Vorstellung, ein Teil von mir würde

nach meinem Tod in ihnen weiterleben, ist doch eigentlich ziemlich

absurd, wenn man mal in Ruhe darüber nachdenkt.

ARNO Was redest du denn da, Richard ?

LINDA Das hat SIE dir eingeredet, hab´ ich recht ?

RICHARD Und es gibt auch kein Leben nach dem Tod. Für mich nicht und für

Euch auch nicht. Für niemanden, denn es gibt auch keinen Gott.

LINDA Jetzt ist sie zu weit gegangen ! Also wirklich: Was fällt Ihnen ein,

unserem Freund dermaßen blasphemische Ansichten aufzudrän-

gen ? Das werden Sie eines Tages noch bereuen, glauben Sie mir.

DORIS Ach, ich werde gar nichts bereuen. Und Sie sollten endlich aufhören,

Richard mit Ihrem Geschwafel dumm halten zu wollen.

LINDA Richard, was willst Du denn jetzt machen ?

Wie soll es weitergehen ?

RICHARD Es geht weiter, wie bisher. Was soll schon sein ?

DORIS Was hat er gesagt ?

ARNO Er hat sich endlich wieder unter Kontrolle.

LINDA Ein Glück !

DORIS Richard, was ist denn auf einmal los mit dir ?

RICHARD Ich weiß schon noch, was ich eben alles gesagt habe, keine Sorge.

Nur -wie ich das so sehe- werden diese Erkenntnisse keine Aus-

wirkungen auf meinen Lebensstil haben.

Dank dir habe ich jetzt den Durchblick. Das genügt mir.

DORIS Genügt Dir das auch wirklich ?

LINDA Sie haben es doch gehört ! Und jetzt lassen Sie es dabei, bitte.

Sie haben uns alle genug verwirrt.

ARNO Wunderbar, alles wieder beim alten.

LINDA Ganz so ist es leider nicht.

ARNO Warum nicht ? Haben Sie jetzt plötzlich etwa auch Zweifel, Linda ?

LINDA Nein, das nicht. Aber etwas stimmt mich nachdenklich, muss ich

sagen.

ARNO Was denn ?

LINDA Ich gebe zu: Auf den ersten Blick scheint alles wieder normal.

Aber bedenken Sie: Wir haben eben selber miterlebt, dass es mög-

lich ist, einen so bodenständigen Menschen wie Richard -Ich sagte

es vorhin schon: den Grundpfeiler unserer Gesellschaftsordnung-

dazu zu bringen, dass er das bewährte System anzweifelt.

Das ist doch eigentlich erschreckend.

ARNO Sie haben recht.

LINDA Eben.

RICHARD Könnt Ihr denn wirklich erst zufrieden sein, wenn Ihr alles unter Kon-

trolle habt ?

DORIS Es scheint so.

LINDA Und ich bleibe trotzdem dabei: Sie haben irgendetwas Fanatisches

an sich; Als Linke, meine ich. Eine Frau wie Sie wäre in den Sieb-

zigern sicher leicht zu einer Terroristin geworden.

DORIS Ach, so ein Unsinn ! Ich wäre seinerzeit sicher genauso wenig eine

Terroristin geworden, wie Sie z.B. irgendetwas Anspruchsvolles,

sagen wir eine Journalistin.


weiter mit ...

Doris als TERRORISTIN

Linda als JOURNALISTIN


Download der Hörspiel-Vertonung von 1994/95: Download
(Autorenproduktion)






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