HÖRSPIEL-SCRIPT
Getrübte Einigkeit
(Teil I - II - III - IV - V - VI - VII - VIII - IX - X):
"Erpressung eines Industriellen wegen seiner Rüstungsexporte"
Der
Widerhall der gesprochenen Worte läßt den Hörer
einen
Raum von großzügigen Ausmaßen vermuten.
KRIECHER Wann kommt er
denn nun endlich ?
REALISTIN Ein bißchen
Geduld ! Ich glaube, er ist gerade erst aufgestanden.
Kurze
Pause.
KRIECHER Es ist eine
Auszeichnung.
REALISTIN Und eine Ehre ist
es wohl auch.
KRIECHER Nicht umsonst
wohnt er in einem so prachtvollen Haus.
REALISTIN Na, umsonst
bestimmt nicht.
KRIECHER Ich würde
sagen: Er hat es geschafft - Er ist ganz oben.
REALISTIN Damit könntest
du recht haben.
KRIECHER Seit letzter
Woche ist er eine Persönlichkeit.
REALISTIN Ich denke, er war
vorher auch schon jemand.
KRIECHER Der
Ehrenverdienstpreis der Stadt Augsburg ! Wofür hat er ihn
eigentlich
bekommen ?
REALISTIN Für die
Beschäftigungspolitik seines Betriebes. Er konnte dem all-
gemeinen
Trend zum Abbau von Arbeitsplätzen in der Branche
erfolgreich
entgegensteuern.
KRIECHER In welcher
Branche ?
REALISTIN Der Rüstung.
Seine Firma stellt Rüstungsgüter her.
KRIECHER Waffen zum erhalt
des Friedens, sicher.
REALISTIN Stationäre
Werfersysteme, Minen, Radar und ferngesteuerte Lenk-
waffen.
Der Rest ist geheim.
Schritte
nähern sich.
KRIECHER Hat er es denn
nötig, den geheimzuhalten ?
REALISTIN Bald vielleicht
nicht mehr.
INDUSTRIELLER Hoffentlich
recht bald ! Guten Morgen !
KRIECHER Guten Morgen !
REALISTIN Guten Morgen !
INDUSTRIELLER Glauben
Sie mir: Es wird einem mit der Zeit ganz schön lästig,
ständig um den heißen Brei herumzureden, wenn man auf seine berufliche
Tätigkeit
hin
angesprochen wird.
Und
das alles nur, um einer kleinen Elite von überkritischen
Journalisten
nicht
noch zusätzlich zu ihrer ohnehin schon überschäumenden
Phanta-
sie
Zündstoff zu liefern.
KRIECHER So etwas nennt
man dann ja wohl Betroffenheisjournalismus. Von Ver-
antwortung
gegenüber unserer Wirtschaft keine Spur !
INDUSTRIELLER Vollkommen
richtig bemerkt, mein Herr ! Und gerade verantwortungs-
bewußte
Menschen brauchen wir heute mehr denn je. Mit der Jeunesse
doreé
ist eben einfach kein Staat mehr zu machen; War er übrigens auch
nie,
nur galt man bis vor kurzem in diesem Land ja gleich als reaktionär,
wenn
man eine solche Wahrheit mal beim Namen nannte.
Aber
die Bilanzen haben schließlich schon immer eine deutliche
Sprache
gesprochen...
GATTIN ermahnend:
Arno !
INDUSTRIELLER Man
muss sie nur zu lesen verstehen: Lohnfortzahlung im Krankheits-
fall,
Mutterschaftsurlaub, Versicherungsbeiträge... . Wie soll da ein
gesunder
Betrieb auf Dauer bestehen können, wenn er auf diese Weise
von
Parasiten durchsetzt ist ?
Darf
ich vorstellen: Meine Frau Linda.
GATTIN Sehr taktvoll
von dir, Liebling !
KRIECHER Angenehm !
REALISTIN Angenehm !
GATTIN Freut mich
sehr ! Sie müssen es meinem Mann bitte nachsehen, wenn er
sich
in diese Themen vielleicht ein bißchen zu sehr hineinsteigert.
So wie
ich
ihn kenne, dient ihm das auch nur zur Ablenkung.
REALISTIN Ach ja ?
INDUSTRIELLER Du
meinst, ich war unhöflich unseren Gästen gegenüber ?
GATTIN Wir können
doch ruhig offen zu ihnen sein.
KRIECHER Um was geht es
denn nun eigentlich ?
REALISTIN Wovon müssen
Sie sich ablenken ?
INDUSTRIELLER Wir
haben hier momentan einfach sehr viel Streß.
GATTIN Wir haben
gestern wieder einmal einen Brief bekommen: Eine Mord-
drohung;
Die Polizei ist auch schon eingeschaltet.
INDUSTRIELLER Das
Haus wird verstärkt überwacht.
GATTIN Wieder
einmal, muss man sagen.
INDUSTRIELLER Wir
hatten so etwas schließlich schon öfter.
KRIECHER Das hört
sich ja schlimm an !
GATTIN Ja, es ist
leider nicht das erste Mal, dass das vorkommt.
REALISTIN Wie werden Sie
denn damit fertig: Mit dieser Bedrohung ?
GATTIN Also, daran
gewöhnen werde ich mich jedenfalls nie, das können Sie mir
glauben.
KRIECHER Natürlich
nicht. Wie wird denn eigentlich diese Morddrohung gegen Sie
begründet
? Ich meine: Sie sind doch soweit völlig unbescholten, wenn
ich
das sagen darf.
REALISTIN So etwas kann
doch niemand begründen.
GATTIN Das meine ich
auch.
INDUSTRIELLER Dieser
Brief stammt wohl von irgendeiner zentralafrikanischen Wider-
standsgruppe.
Man wirft mir vor, mit den Waffenlieferungen meiner Firma
würde
ich das Regime dort stützen. Das soll angeblich ein Mörderregime
sein.
Dabei ist der Vorwurf natürlich völlig absurd.
KRIECHER Natürlich.
INDUSTRIELLER Und
selbstverständlich bin ich im Besitz einer
Unbedenklich-
keitsbescheinigung
des Außenhandelsministeriums für meine Lieferungen.
REALISTIN Damit kann man
solchen Fanatikern wohl kaum beikommen.
INDUSTRIELLER Aber
erlauben Sie: Wenn ich mich noch nicht einmal mehr auf die
Sachverständigen
im Außenhandelsministerium verlassen kann - Auf wen
denn
bitte dann sonst noch ?
REALISTIN Ich wollte
diese Verbrecher doch eben nicht in Schutz nehmen. Um
Himmels
Willen ! Hat sich das etwa so angehört ?
KRIECHER Es klang fast
danach.
REALISTIN Ich meinte ja
nur, dass Sie bei Leuten, die Ihnen Morddrohungen ins
Haus
schicken, wohl kaum einen logischen Argumenten zugänglichen
Sachverstand
voraussetzen können. Das ist alles, was ich sagen wollte.
INDUSTRIELLER So
habe ich Sie auch verstanden.
REALISTIN Dann ist es ja
gut.
GATTIN Das ärgert
einen einfach, wissen Sie ? Diese Borniertheit von diesen
Leuten
- Bedrohen undifferenziert unsere ganze Familie ! Sippenhaftung:
Das
ist doch nun wirklich finsterstes Mittelalter, oder was meinen Sie ?
KRIECHER Überhaupt
keine Frage.
GATTIN Als ob ich
etwas mit Arnos Firma zu tun hätte oder irgendwie eingeweiht
wäre
bei diesen ganzen brisanten Artikeln, die er vertreibt.
KRIECHER Das ist wirklich
eine naive Vorstellung !
GATTIN Und meinem
Mann, wissen Sie, machen solche Drohbriefe ja überhaupt
nichts
aus.
INDUSTRIELLER Die
gehören einfach zu meinem Geschäft, was soll´s ?
Nur,
dass meine Frau sich jetzt auch noch um ihre Sicherheit
sorgen muss:
Das
kann einem schon den Tag ganz schön verderben, verstehen Sie ?
REALISTIN Natürlich
! Das muss ja furchtbar für Sie sein.
GATTIN Die machen ja
nicht einmal vor unseren Kindern halt !
Zwölf
und acht Jahre - Ich bitte Sie: Die können doch überhaupt
noch
nicht
nachvollziehen, woher das Geld für ihren Unterhalt stammt.
REALISTIN Naja,
vielleicht meinen die Leute, die Ihnen solche Briefe schreiben, ja,
dass
das Leben Ihrer Kinder nicht mehr wert sein darf als das von irgend-
einem
Buschkind, das in Afrika auf eine Tellermine tritt und zerfetzt wird.
Nicht
etwa, dass ich selber solch eine Meinung vertreten würde...
INDUSTRIELLER Das
wäre auch etwas befremdend, muss ich sagen.
REALISTIN ... aber es
scheint mir schon nachvollziehbar, dass jemand, der so denkt,
Ihnen
solche Briefe schreibt.
GATTIN Diese
unschuldigen Zivilisten tun mir auch leid, was meinen Sie denn ?
Vielleicht
bedaure ich sie mehr, als Sie sich das vorstellen können.
Leute,
die verkrüppelt oder getötet werden - furchtbar ! Ich
spiele auch
immer
noch mit dem Gedanken, wenn die Kinder etwas größer sind,
eine
ehrenamtliche Tätigkeit in einer Menschenrechtsorganisation zu
übernehmen.
INDUSTRIELLER Ich
weiß: Das wolltest du eigentlich doch schon immer machen.
Da
wäre ich
doch der letzte, der dich daran hindern würde. Das weißt
du doch,
nicht
wahr ?
GATTIN Aber
natürlich, Liebling.
KRIECHER Was spricht auch
dagegen ?
GATTIN Das meine ich
auch. Und wissen Sie was ? Gerade die Leute, die uns
solche
Drohbriefe schreiben, hätten es eigentlich in der Hand, diese
ganze
unnötige Gewalt in den unterentwickelten Ländern
einzudämmen.
Es
ist ja wie in einem Kreislauf, verstehen Sie ?
REALISTIN Ehrlich gesagt:
Nein.
GATTIN Gewalt
erzeugt Gegengewalt - Das war doch schon immer so.
Wenn
die Karten in diesen Staaten also wirklich so ungleich verteilt sind
und
diese Widerständler keine Chance gegen die Regierung haben, dann
müssen
sie eben ein bißchen zurückstecken; Man verschiebt die
Refor-
men
dann eben auf günstigere Zeiten, schraubt die Ansprüche ein
wenig
zurück
und arrangiert sich vorübergehend mit dem Regime.
Wo
ein Wille ist, ist auch immer irgendein Weg, meinen Sie nicht ? Dann
würde
die ganze Gewalt auch nicht so eskalieren.
KRIECHER Wie Sie die
Dinge durchschauen !
INDUSTRIELLER Wir
müssen uns ja schließlich auch arrangieren mit unserem
Staat.
Glauben
Sie vielleicht, dass mir hier alles so gefällt, wie
es ist und wie es
sich
hierzulande liberal schimpft ? Wenn es nach mir ginge, dann sähe
dieses
Land auch anders aus, das können Sie mir glauben.
REALISTIN Glaub´
ich gerne !
INDUSTRIELLER Und
deshalb veranstalte ich ja schließlich auch keine Revolution,
nicht
wahr ?
KRIECHER Die Mittel dazu
hätten Sie ja !
Allgemeines
Gelächter.
INDUSTRIELLER Das
sehen Sie ganz richtig. Aber ich kenne ja zum Glück
meine
Grenzen. Sehen
Sie: Das ist halt der Unterschied zwischen mir und diesen Feig-
lingen,
die uns solche Drohbriefe schreiben.
REALISTIN Und diese
ganzen unschuldigen Toten bereiten Ihnen wirklich keine
schlaflosen
Nächte ?
INDUSTRIELLER ironisch:
Aber natürlich tun sie das. Bemerken Sie denn gar nicht
meinen
verschlafenen Blick heute morgen ?
GATTIN Naja.
Geschlafen hast du letzte Nacht ja wohl wirklich nicht so viel,
nicht
wahr, mein Schatz ?
INDUSTRIELLER Aber
der Grund dafür waren nun keine niveaulosen Drohbriefe.
Lachen.
REALISTIN Mir ist aber zu
Ohren gekommen, dass sich selbst Vertreter von Arbeit-
nehmerverbänden
Ihrer Branche neuerdings auch für eine restriktivere
Ausfuhrpolitik
Ihrer Erzeugnisse einsetzen.
GATTIN Mein Gott,
noch mehr Amateurfriedenspolitiker ! Das sind doch immer
die
ersten, die jammern, wenn aufgrund einer verfehlten Wirtschafts-
politik
Arbeitsplätze abgebaut werden müssen !
INDUSTRIELLER Sie
wollen Arbeitsplätze, an denen kein Blut haftet.
Ein
frommer Wunsch. Nur werden sie die in diesem Land kaum mehr
finden,
so leid es mir tut.
KRIECHER Kann einem ja
auch leid tun, diese Naivität.
REALISTIN Meinst du
wirklich ?
KRIECHER Du hast es doch
jetzt selber gehört !
REALISTIN Ja, das stimmt.
Download der Hörspiel-Vertonung von 1994/95: Download
(Autorenproduktion)