HÖRSPIEL-SCRIPT (Auszug)
Stadt-Land-Schluss
(Teil Ia - Ib - II):
"Verrat auf dem Land"
Ein Telefonat
Vera: Hallo, Leo ?
Leo: Vera, Hallo.
Vera: Ich wusste nicht, ob die Nummer stimmt.
Leo: Wieso ?
Vera: Ich war nicht sicher, ob Du uns damals Deine richtige Nummer gegeben
hast als Du weggegangen bist.
Leo: Hab´ ich, Vera. Ich hatte und habe nichts zu verbergen. Ich habe nichts
Ungesetzliches getan. Im Gegenteil.
Vera: Das kann man wohl sagen !
Leo: Vera, warum rufst Du an ?
Vera: Um mit Dir zu sprechen.
Leo: Das ist nett. Ich freue mich auch, Dich mal wieder zu hören.
Vera: Und um Dir zu erzählen, wie´s uns so geht.
Leo: Ah, ja.
Vera: Das interessiert Dich doch, oder ?
Leo: Selbstverständlich interessiert mich, was aus Euch geworden ist.
Vera: Du hattest 'Gut Sonnenschein' damals so ganz plötzlich verlassen.
Leo:
Ich hatte die Eingebung für ein neues Projekt in der Hauptstadt.
Vera: Wegen Deiner wunderbaren Projekte haben wir Dich letztes Jahr nach
'Sonnenschein' eingeladen, Leo. Bei der Abstimmung gab es keine
Gegenstimme. Wir waren alle überzeugt von Dir und Deiner Aufrichtigkeit.
Leo:
Ich bin gerne gekommen. Und fast ein viertel Jahr geblieben.
Vera: Zwei Tage nachdem Du gegangen warst, kamen die Staazis oder wie Du sie
nennen würdest 'die Eingreiftruppe des Innenmysteriums' und haben das
Gut geräumt. Nicht gerade sehr zimperlich ! Sie haben alles zerstört. Sie
haben uns nichts gelassen.
Leo:
An mir lag es nicht, dass es so weit kommen musste.
Vera:
Ich würde sagen, Du hast Deinen Teil dazu beigetragen.
Leo:
Was passiert ist, war sicher hart für Euch, aber unausweichlich.
Vera: Jessica und Thang wurden verhaftet. Kevin hat sich das Leben genommen.
Mandys Baby wird jetzt also ohne Vater aufwachsen.
Leo:
Eine neue Studie aus dem Familienmysterium besagt, dass es sowieso
besser für Kinder ist ohne patriarchalen Einfluss großzuwerden.
Vera: Wie schön ! Ich bin inzwischen übrigens auf Bewährung wieder auf freiem
Fuß.
Leo:
Ich habe die ganzen Vorgänge in der Presse verfolgt. Ich konnte Euch leider
nicht helfen.
Vera: Die Informationen, die dem Mysterium als Vorwand für den Sturm auf 'Gut
Sonnenschein' gedient haben, kamen von Dir, Leo. Das wissen wir
inzwischen alle.
Leo:
Ja, ich hatte den Auftrag, dem Mysterium über Euch zu berichten. Das heißt
aber nicht, dass ich mir diesen Ausgang gewünscht habe. Wenn die
Verantwortlichen sich entschlossen haben, Euch zu räumen, gab es offenbar
keine andere Lösung. Ihr wolltet ja nicht mit denen reden. Rufst Du mich
an, um mir Vorwürfe zu machen ?
Vera: Ich rufe nur an, damit Du meinem Gedächtnis etwas auf die Sprünge hilfst.
Ich will aufräumen in meinem Kopf. Das alles ist schließlich schon ein paar
Takte her. Ich will Dich nicht bedrängen. Das würde außerdem gegen
meine Bewährungsauflagen verstoßen. Ich gehe mal davon aus, dass das
Gespräch mitgehört wird.
Leo: Das ist heutzutage ganz normal. Da gibt’s ja wohl Schlimmeres !
Vera: Ja, gestürmt werden zum Beispiel ...
Leo: Vera, Ihr wart auf einem ganz falschen und potentiell sehr gefährlichen
Trip. Ich habe dazu beigetragen, dass Ihr davon abgebracht wurdet und ich
würde es wieder tun.
Vera: Was war denn so gefährlich an uns auf Gut „Sonnenschein“ ? Dass wir uns
von ökonomischen Zwängen befreit hatten ? Dass wir Lebensmittel selbst
angebaut haben, dass wir das, was wir nicht selber herstellen konnten, über
das Internet getauscht haben ?
Leo:
Das war sicher noch legal. Obwohl das Internet ein potentiell gefährliches
Medium ist.
Vera: Dass Thang und Julia ihre Kinder aus der Schule genommen und selber
bei uns unterrichtet haben ?
Leo:
Und dann auch noch Voltaire und Schopenhauer – die Bücher lagen bei
Euch rum ! Das war schon deutlich kritischer.
Vera: Dass wir eine eigene Verfassung kreiert und gemeinsam an einem eigenen
simplen und humanem Rechtssystem gearbeitet haben ?
Leo:
Wenn das richtig publik geworden wäre und Nachahmer gefunden hätte,
hätte es viel Unglück und Leid in Deutschland verursachen können.
Vera: Dass wir alle keine Steuern gezahlt haben, weil wir uns als autonomer und
friedlicher Staat sahen ?
Leo:
Das hat Euch das Genick gebrochen. Aber das lag sicher nicht daran, dass
ich dem Mysterium die Informationen, die es ohnehin schon über Euch
gesammelt hatte, nochmal bestätigen musste.
Vera: Musste ? Haben sie Dich mit dem Leben Deines Meerschweinchens
erpresst oder wie habe ich mir das vorzustellen ?
Leo:
Vera, von der gefährlichen Signalwirkung, die von Menschen ausgeht, die
sich aus der staatlich organisierten Solidargemeinschaft verabschieden,
brauchte mich niemand zu überzeugen. Und dass ich meine
Beobachtungen an die entsprechenden Expertinnen weitergeleitet habe, ist
nur konsequent. Ich habe dafür kein Geld genommen. Ich bin Ende dreißig,
Vera: Ich verkaufe meine Überzeugungen nicht für einen Scheck mit ein
paar Nullen.
Vera:
Und Deine Überzeugung ist, dass wir – Jessica, Thang die anderen und ich
– dass wir eine Gefahr für die Gesellschaft waren, so wie wir gelebt haben,
ja ?
Leo:
Ihr wärt höchstwahrscheinlich eine Gefahr geworden, wenn ihr
weitergemacht hättet, ja. Aber wie gesagt: Über die Konsequenzen hatte ich
nicht zu entscheiden, ich habe meine Beobachtungen weitergegeben. Und
es ist nicht so, dass ich Euch dabei nicht wohlgesonnen war.
Vera:
Das dachten wir auch alle, während Du bei uns gelebt hast.
Leo:
Wenn ich Anzeichen erkannt hätte, dass es bei Euch Strömungen gab, die
Euch früher oder später mit der staatlichen Ordnung wieder hätten
versöhnen könnten, hätte ich die genauso weitergegeben und ich hätte mich
darüber gefreut, weil ich Euch alle und auch die Grundidee von Eurem
Projekt sehr sympathisch fand. Ich bin schließlich nach wie vor ein Linker.
Vera:
Jetzt mach aber mal´n Punkt !
Leo:
Wir sind eben angekommen, Vera. Unsere Leute sitzen jetzt in den
Mysterien und verdienen unsere Unterstützung, weil sie genau das
Richtige tun und das Richtige wollen: Die Menschen vor sich selbst, vor
anderen und vor der Globalisierung beschützen.
Vera: Ihr wart besorgt, ob die paar Bewohner eines kleinen Fleckchens Erde im
Brandenburgischen Niemandsland über´s Internet oder sonstwie anderen
hätte vorführen können, dass freie Menschen auch ohne die Segnungen
der Verwaltungen in der Hauptstadt überleben und sogar ganz gut
auskommen können.
Leo:
Labile Menschen hätten aus Eurer scheinbaren Idylle die falschen Schlüsse
ziehen und so die Sicherheit in ihrem Leben auf´s Spiel setzen können.
Vera: Leo, das passt doch alles nicht zu dem Outsider-Image, das Du jahrelang als
Sänger und Künstler kultiviert hast.
Leo:
In meinen Liedern habe ich doch oft über bessere weibliche Welten
gesungen, oder ? 'Beate zeigt´s den Chauvies', 'Mama, gib mir mehr davon !
' ...
Vera:
Das waren die einzigen Stücke, die bei uns nicht so gut ankamen.
Leo:
Schon klar: Das Matriarchat steht für den totalen Schutz und die totale
Fürsorge. Übertragen auf die Gesellschaft bedeutet das einen starken
Staat, der uns alle bemuttert und vor uns selber schützt. Moderne Politik
ist eindeutig feminin. Deshalb fühle ich mich in Deutschland und Europa
wohl und deshalb weiß ich auch, was ich unseren Oberen schulde.
Vera:
Hätten wir doch nur vorher gewusst, wie Du das siehst !
Leo:
Ja, tut mir leid. Dumm gelaufen.