ACHTUNG: Diese Seiten wurden seit dem 01.01.2024 inhaltlich NICHT mehr aktualisiert und haben seither nur noch archivarischen Charakter.
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MEHR DEMOKRATIE, WENIGER POLITIK
Initiative 'Wahlabsage'
Bereits seit Jahren machen immer weniger Bürger von ihrem demokratischen Wahlrecht Gebrauch. Das ist etwas undankbar. Als Argument wird häufig angeführt, zu viele Politiker würden mit ihrem Tun und selbst mit ihrem Nichtstun Menschen schaden, ihnen die Unwahrheit sagen oder sie sogar finanziell übervorteilen. Trifft das zu oder ist es nur üble Nachrede ?
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MUSIK OHNE ZWANG
Initiative 'Dudelstopp'
Eine Handvoll Initiativen fordert neuerdings die Reduzierung von Gratis-Musik im öffentlichen Raum. Man kann nur hoffen, dass die Akteure die Folgen ihres Tuns gut abwägen. Die Initiative `Dudelstopp - Musik ohne Zwang´ setzt sich seit 15 Jahren mit der konfliktträchtigen Materie auseinander und ist mal Freund, mal Feind der Beschallungs-Industrie.
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VIOLARE HUMANUM EST
Initiative 'Gewalt geht immer'
Der staatliche Umgang mit Gewaltkriminalität ist vorbildlich und wird von den Bürgern mit großem Vertrauen belohnt. Gewalt ist ein natürlicher Teil der sozialen Ordnung – ohne sie käme es zu Anarchie. Verantwortungsbewusste Frauen und Männer sollten sich bemühen, aggressive Menschen nicht durch übertrieben selbstbewusstes Verhalten zu provozieren.
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DER WIRTSCHAFT ZULIEBE
Initiative 'Wir-sind-wichtig'
Immer mehr Menschen treten wegen ihrer Unentbehrlichkeit in Beruf und neuen Medien in ihrem Sozialleben kürzer. Sie bringen auf Kosten von Familienleben und emotionaler Stabilität Opfer für das Funktionieren der Wirtschaft und damit das Gemeinwohl. Die Initiative 'Wir-sind-wichtig' und die Politik zollen ihnen daher größten Respekt.
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"Unser Sozialsystem hinkt im Vergleich mit Wolkenkuckucksheim seit Jahrzehnten hinterher." (Initiative GEWALT-GEHT-IMMER)
"Eine Partei gegen Arschlöcher hätte beim Wahlvolk doch gar keine Chance." (Initiative WAHLABSAGE)
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STAATSNÄHE
Satire-Stiftung `moderne21´
Was geht hinter den Mauern exklusiver Stiftungsrepräsen-tanzen vor sich ? Wir zeigen an dieser Stelle nicht auf andere, sondern gewähren Einblick in den Alltag unserer eigenen, erklärtermaßen staatsnahen Satire-Stiftung `moderne21´ mit Sitz im schönen Hamburg. Dort wurden kürzlich vier Initiativen vorstellig, die miteinander um Fördergelder konkurrierten.
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DIE HAUPTSTADT GEHT VOR
Bündnis `Berliner Mehrwert´
Berlinerinnen und Berliner sind als Hauptprofiteure des Länderfinanzausgleichs de facto `mehr wert´ als Bewohner anderer Bundesländer. Aus der von den Hauptstädtern geleisteten gesellschaftspolitischen Pionierarbeit werden früher oder später jedoch alle Bundesbürger großen Nutzen ziehen, somit ist die vermeintliche Bevorzugung Berlins gerechtfertigt.
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SUBKULTUR
Schwarze Szene in dunklem Licht
Der sich ganz überwiegend als unbegründet herausgestellt habende Extremismus-Verdacht gegen Darkwaver und Goths verhallt allmählich, da steht bereits ein neuer ernster Vorwurf im Raum: Die häufig zur Schau gestellte Familien- und Kinderfeindlichkeit der Schwarzen Subkultur, die nach wie vor besonders in der Bundesrepublik viele Anhänger hat, grenzt Zugewanderte und Geflüchtete aus.
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# Europapolitikerinnen warnen vor Karriereschäden durch Kinder: Antinatalismus-Verdacht ?
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FÖDERALISMUS
Freie und Hansestadt Hamburg
Die spätestens seit der Wiederwahl von Bundespräsident Steinmeier immer weiter um sich greifende Spaltung der Gesellschaft in 'gut' und 'schlecht' tritt besonders augenfällig in Hamburg zutage mit dem FC St. Pauli, Barbara Schöneberger, dem NDR oder der Hafencity auf der guten sowie dem HSV, Rocko Schamoni, DESY oder der Strandperle auf der schlechten.
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"Manchen Menschen scheinen ihre Lebenslügen wirklich verdammt viel fremdes Geld wert zu sein." (Initiative DUDELSTOPP)
"Wenn man nicht berühmt ist, lebt man trotzdem. Die Körperfunktionen setzen nicht aus." (Initiative WIR-SIND-WICHTIG)
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POLITISCH KORREKT
Bündnis 'Kreative Mitte'
Seit langem schon geben Politik und Verwaltung vor, was gut und was richtig ist. Aber neuerdings will eine wachsende Zahl von Menschen nicht mehr auf sie hören und diese Entscheidungen für sich selber treffen. Die Mandatsträger sind verunsichert. Sollte vielleicht die Kunst für die Mächtigen in die Bresche springen und mehr politische Korrektheit fördern ?
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VERTREIBUNG
Die `Tacheles-Diaspora´
Das weltbekannte Kunsthaus Tacheles wehrte sich jahrelang gegen die Machenschaften einer enthemmten Finanzindustrie. Berliner Politiker - wie etwa Klaus Wowereit - konnten oder wollten den Künstlern nicht helfen. moderne21 verlor ihre Wahlheimat. Aber nach wie vor leben freie Künstler die tacheles-Diaspora. Einige von ihnen gehen sogar spazieren.
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UNGEHORSAM
Protest gegen Uploadfilter
Wo Internetnutzer und Meinungsfreiheitsfundamentalisten angesichts der EU-Urheberrechtsreform unbegründeterweise befürchten, sie würden von staatlichen Institutionen gegängelt, von Politikern übergangen und dem Primat der Wirtschaft unterworfen, stellen sie bewusst oder unbewusst das Friedensprojekt Europa in Frage, was nicht unterstützt werden kann.
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AUFRUF
Rettung von Europa
Bei den letzten Direktwahlen zum Europäischen Parlament entschiedt sich, ob das Friedensprojekt Europa fortgesetzt werden kann. Rechtspopulistische Parteien versuchten mit Hilfe von negativem Framing, einen Keil zwischen die Europäische Union (EU) und den Kontinenten Europa zu treiben, indem sie sich anmaßten, gleichzeitig für Europa und gegen die EU sein zu können.
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Über uns
Das Selbstverständnis von moderne21
Wenn Bürger dieses Landes die Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kritisieren, ist dies in den allermeisten Fällen völlig ungerechtfertigt, denn bei den gescholtenen Spitzenkräften handelt es sich fast ausnahmslos um seriöse Experten, die sich fest am Gemeinwohl orientieren. Dennoch möchte die sich satirischer Mittel bedienende freie Politik- und Kunstplattform moderne21 jenen Fehlgeleiteten eine Stimme und ein wenig Halt geben, die fälschlicherweise meinen, sie würden von staatlichen Institutionen bevormundet, von Politikern übervorteilt und von der Wirtschaft ausgebeutet.
Wir alle wissen, dass die Bundesrepublik ein Land mit Zukunft ist und dass die ungewöhnlichen Veränderungen im Bevölkerungsaufbau Deutschland interessanter machen. Durch die absehbare demografische Entwicklung stehen große Umbrüche bevor, die von verantwortungsbewussten Bürgern als Chance begriffen werden. Daher wird an der bereits in den siebziger Jahren getroffenen Entscheidung konsequent festgehalten, die störungsanfällige soziale Keimzelle `Familie´ nach und nach durch kompetente staatliche Einrichtungen zu ersetzen. Gefährliche Irrlehren wie solche, nach der die kinderlose Single-Gesellschaft keine Zukunft hat, können folgerichtig nicht geduldet werden.
Als für die allgemeine Lebensqualität besonders günstig erweisen sich außerdem die weitreichenden Aktivitäten des Sozialstaats, dessen Beschäftigte ein großes Interesse an der Zufriedenheit und Sicherheit der Bevölkerung haben und dennoch bestrebt sind, ihre Arbeit lieber heute als morgen überflüssig zu machen. Aus dem wachsenden Einfluss des Staates auf das Leben der Menschen resultiert ein Mentalitätswandel, der Tatendrang und Optimismus fördert.
Zivilgesellschaftliche Projekte wie moderne21 bringen sich mit Kreativität, Zeit und Geld für gemeinschaftliche Zwecke ein. Sie wollen Politik, Wirtschaft, Medien und Verwaltung bei der Bewältigung der Folgen gesellschaftlichen Wandels mit Hilfe eigener Ideen und künstlerischer Ausdrucksformen zur Seite stehen. Ebenso wie alle relevanten politischen Kräfte lehnt moderne21 den Kapitalismus ebenso ab wie ihr gleichzeitig der Ausbau des Wohlfahrtsstaates am Herzen liegt. Sie verschließt sich nicht dem Dialog mit den Mächtigen, sondern geht auf sie zu, um sie brüderlich zu umarmen.
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Politische Heimat
Die Zeit im Tacheles
Im virtuellen Dauer-Hype des Internetzeitalters sind Macher und `User´ naturgemäß wenig sentimental, was Orte und Institutionen in der realen Welt anbelangt. Unter den zahlreichen Politik- und Kunstplattformen des Netzes entschloss sich jedoch namentlich `moderne21´ ab 2006 mit ihren diversen Projekten mit dem damals weltbekannten aber durch spekulanten bedrohten Kunsthaus an der Oranienburgerstraße zu kooperieren. Die satirisch angehauchten politischen Diskussionen, die die Plattform zwischen 2006 und 2012 in loser Folge in verschiedenen Teilen des Hauses veranstaltete, deckten ein breites Themenspektrum ab und konnten trotz der sicht- und fühlbaren Nähe zur Kunst nicht als `abgehoben´ bezeichnet werden.
Dennoch musste man sich auf einzelne gesellschaftspolitische Felder beschränken und konzentrierte sich auf jeweils zwei generelle sowie spezielle Phänomene: Politische Partizipation ('Wahlabsage') und Gewaltkriminalität ('Gewalt geht immer) auf der 'Meta-Ebene' sowie Individualisierung ('Wir sind wichtig') und auditive Autonomie ('Dudelstopp') auf der 'Mikro-Ebene', wobei es zwischen den einzelnen Phänomenen natürlich Wechselwirkungen gab (z.B. 'Gewaltmusik'). Das Konzept ging auf, die Satireplattform konnte sich als feste Gruppe um das Kunsthaus Tacheles etablieren und war bis zu dessen friedlicher - wenn auch juristisch erzwungener und politisch geduldeter - Räumung im Jahr 2012 in den gewaltfreien Widerstand gegen die Neubebauung des Areals eingebunden. Dem folgenden Umzug der Kernbelegschaft der `Tachelesen´ aus der Berliner Mitte ins angesagte, wenn auch deutlich abgelegenere, Neuköllner `Rollbergviertel´ folgt moderne21 allerdings nicht.
Im Internet ist die Satireplattform seit Jahr und Tag als feste Rubrik funktionell an die Medienseite 'die Hörspieler' angeschlossen, weshalb gegenseitige Beeinflussung, Inspiration oder gar Ansteckung nicht gänzlich ausgeschlossen werden können.
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Erste Initiative
Wollen wir Friedhofsruhe ?
Im Jahr 2007 startete die Initiative Dudelstopp, die den Missstand unfreiwilligen Musikkonsums verstärkt ins öffentliche Bewusstsein rücken und für mehr Rücksicht werben wollte. Ihre provokativen Thesen verbreitete die Initiative gemeinsam mit einer Gruppe von Schauspielern und der Hilfe von Internetvideos. Dies so erfolgreich, dass sich scheinbar paradoxerweise viele Popgruppen und -künstler aus Deutschland offiziell mit der vermeintlichen Dudelstopp-Bewegung solidarisierten, wozu einer der Aktivisten über `ZEIT online´ erklärt: `Ich sehe das als Geste, dass die Dauerbeschallung mit ihrer Musik nicht immer im Sinne der Bands ist.´
Noch bevor der Begriff des `Wutbürgers´ geprägt und damit undifferenziert manches zivilgesellschaftliche Engagement in populistisches Spießertum umgedeutet wurde, veranstaltete die Initiative Dudelstopp 2006 ihre erste Diskussion im `Welturlaub´, einer Galerie im Erdgeschoss des 'Kunsthauses Tacheles'. Neben dem grundsätzlich neugierigen Laufpublikum, welches das ganze Jahr über zahlreich im Tacheles auf Entdeckungstour war, reisten auch eine Reihe wütender Bürgerinnen und Bürger zur Veranstaltung `Musik ohne Zwang´ nach Berlin an. Ihnen wurde zwar keine Lösung ihres auditiven Wohlstandsproblems geliefert, aber immerhin konnten sie ihren über die Jahre aufgestauten Druck ablassen in der Gewissheit, im Kunsthaus ein angemessenes Forum hierfür gefunden zu haben. Natürlich wurde auch im laufenden Tacheles-Betrieb nahezu permanent sowohl musiziert als auch musikalisch experimentiert, gelärmt und nicht zuletzt auch gedudelt. Letzteres aber nachweislich nicht auf Geheiß der Musikindustrie, sondern lediglich als Zugeständnis an diejenigen Besucher des Kunsthauses, denen eine große Ruine voller Kunst ganz ohne Hintergrundgesäusel unheimlich gewesen wäre.
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Zweite Initiative
Mehr Demokratie, weniger Politik
Im `Welturlaub´ diskutierte 2008 der Publizist Florian Felix Weyh mit Sympathisanten sowie Aktivisten der Initiative Wahlabsage, die sich satirisch mit dem Nichtwählerphänomen auseinandersetzte. Weyh hatte sich auf die Modernisierung des Wahlrechts spezialisiert, um dem zunehmenden Politikverdruss beizukommen. Bei der Podiumsdiskussion forderte der Publizist von den Initiative, den Wählern nahezubringen, „warum sie Nichtwähler sein dürfen".
Für Fragen und Diskussionen rund um die thematischen Komplexe von mehr Bürgerbeteiligung und Basisdemokratie schien das pauschal als `alternativ´ eingestufte `Kunsthaus Tacheles´ als authentischer und glaubwürdiger Veranstaltungsort die passende Kulisse zu bieten. Später gaben sich bei der Auseinandersetzung mit 'Wahlabsage' an diesem Ort auch Vertreter der freien Demokraten sowie der Grünen ein Stelldichein, was freilich nicht dazu führte, dass deren Parteien sich in den folgenden Jahren im Überlebenskampf des Tacheles ein Bein für die Künstler ausgerissen hätten.
Auch bei dieser Initiative blieb moderne21 ihrer Strategie treu, Schwächen der `finalmodernen Gesellschaft´ auf satirische Art darzustellen. Im Fall der Nichtwähler richtete sich das Augenmerk nun auf die zu Unrecht häufig durch die Medien diffamierten vermeintlichen Abgehängten und Wütbürger. Im Aktionsvideo 'Verkannten Modernisierern den Rücken stärken' war die Aktivistin Malah Helman mit der Aussage zu hören, dass eine neuzugründende `Partei gegen Arschlöcher´ an der Wahlurne von Mercedesfahrern und Kampfhundehaltern mit Sicherheit nicht eine einzige Stimme bekäme. Trotz Vereinnahmungsversuchen vornehmlich linker Kreise hielt die WAHLABSAGE-Initiative strikt ihren politisch neutralen Kurs.
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Dritte Initiative
Violare humanum est
Die Initiative Gewalt geht immer stellt den paradoxen Umgang staatlich Verantwortlicher mit Gewaltkriminalität als Symptom eines von der Gesellschaft gänzlich entkoppelten Justiz- und Sozialarbeiterapparats heraus. Eine der wichtigsten Professionen in diesem Zusammenhang, die Soziologie, wurde dabei von Kritik nicht ausgenommen, da die Aufgabe ihrer Vertreter anspruchsvoller beschrieben werden sollte als lediglich die `Erstellung hochbezahlter Gefälligkeitsgutachten´, wie man einem alternativen Nachrichtenmagazin zu Protokoll gab.
Naturgemäß heikel waren daher inhaltlich die Veranstaltungen der Initiative `Gewalt geht immer – violare humanum est´, die ihre satirisch angehauchten Thesen zunächst 2008 im `Weltladen´ und später auch in der `Neuen Galerie´ zur Diskussion stellte.
Angesichts der gebotenen Ernsthaftigkeit
des `Gewalt´-Themas wären an wohl jedem anderen Veranstaltungsort die vor dem Eingang ihrem täglichen Gewerbe nachgehenden Drogendealer oder die deutlich hörbar im Hintergrund laufende orientalische Musik sehr negativ ins Gewicht gefallen – beim Tacheles gab man sich hier jedoch großstädtisch tolerant und abgeklärt. Zumal sich die Medien beim Thema Gewaltkriminalität, bei dem speziell in Berlin wie kaum an einem anderen Ort Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, extrem zurückhielten und über die Veranstaltungen bis auf die obligatorischen Programmhinweise erst lieber gar nicht informierten.
Den Diskussionen, unter anderem mit einem Vertreter des `Weißen Rings´ sowie einer Juristin der FU Berlin, tat dies jedoch keinen Abbruch. Sie gerieten streckenweise jedoch recht heftig, da auch persönlich Betroffene anwesend waren - ein Grund mehr für die Massenmedien, den Aktivisten in puncto Berichterstattung für das heikle Thema `Kriminalität´ zunächst einen (Maul-)Korb zu verpassen.
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Vierte Initiative
Alles für die Wirtschaft
Die vierte im Kunsthaus Tacheles geborene Initiative Wir sind wichtig, die sich mit den Verlierern der Individualisierung beschäftigte und die Opfer der Single-Gesellschaft zu Wort kommen ließ, traf offenbar erneut den Nerv der Zeit.
Bei Ihrer erstmaligen Vorstellung in der Oranienburger Straße erinnerte Daniel Fallenstein von den damaligen `Freunden der offenen Gesellschaft´ zwar an eine Zeit, zu der "Eremiten hoch geachtet wurden" - aber die Achillesferse hochmoderner Länder wie der Bundesrepublik tritt dennoch immer wieder deutlich zu Tage: Individualisierte Selbstverwirklicher leben zunehmend entfremdet und empfinden sich als entwurzelt. Vereinsamung wird zum Massenphänomen, über das aus Scham viel zu selten gesprochen wird. Die neue Initiative wollte hier eine Schweigespirale offenlegen. Mit ihren erstmals auch mit geschauspielerten Videoclipps stießen sie zumindest im Internet auf Interesse der an ihren Lap- und Desktops gefesselten deutschen Cyborg-Generation.
Die Initiative `Wir sind wichtig – der Wirtschaft zuliebe´ lud ebenfalls 2008 in der `Neuen Galerie´ zur Diskussion unter anderem mit Teilnehmern des politischen Stammtisches um die `Freunde der offenen Gesellschaft´, die sich bei ihren Treffen bereits häufig mit dem Phänomen der Individualisierung und seinen Folgen auseinandergesetzt hatten. Als zentraler Punkt der kontroversen Diskussion erwies sich das Thema `Einsamkeit´ einer stark wachsenden Zahl in die Jahre gekommener Singles. Es wurde relativiert, lamentiert und getröstet - am Ende jedoch blieben die meisten Besucher der Veranstaltung ratlos zurück, sei es weil sie sich selber biographisch als Betroffene wahrnahmen, sei es weil sie sich einfach außer Stande sahen, schmerzhafte Aspekte dieses Tabu-Themas - und sei es nur im Rahmen einer abendlichen Diskussion - selbst mental zu verkraften.
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Erstes Bündnis
Berliner Ignoranz
Um auch noch regionale Aspekte des Phänomens städtischer Individualisierung zu beleuchten, legte die Initiative `Wir sind wichtig - der Wirtschaft zuliebe ´ im Jahr 2010 noch einmal nach mit dem von ihr initiierten Bündnis zum Berliner Mehrwert, das sich fernab hochbezahlter Image-Kampagnen ('be berlin') für die Anerkennung der gesellschaftspolitischen
Voreiterrolle der Hauptstadtbewohner stark machte.
Bei der zugehörigen Podiumsdiskussion kam auf jeweils zwei Besucher bereits ein Hund, womit auch optisch deutlich wurde, wohin die moderne Familienpolitik, die sich in erster Linie an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiert, lebensweltlich hinausläuft. Während der auf Video aufgezeichneten Diskussion mit der mittlerweile als Kulturlobbyistin tätigen Dr. Sonja Peters sowie Daniel Fallenstein stellte man mit einer gewissen Befriedigung fest, dass Berlinerinnen und Berliner als Hauptprofiteure des Länderfinanzausgleichs de facto `mehr wert´ sind als Bewohner anderer Bundesländer.
Gegen die Kritik aus Hessen, Bayern und Baden-Württemberg an diesem Umstand wurde nach Ansicht der Diskussionsteilnehmer adäquat von den Entscheidungsträgern der Hauptstadt mit der vermeintlich geleisteten gesellschaftspolitischen Pionierarbeit der Spreemetropole unter Führung der Sozialdemokratie argumentiert. Das derart frei von störenden Selbstzweifeln ins Leben gerufene Bündnis 'Berliner Mehrwert' leistete fortan Aufklärungsarbeit über die vom Zeitgeist als positiv und progressiv gewertete Rolle der Hauptstadtpolitik, wobei es insbesondere aus der Berliner Bloggerszene Aufmerksamkeit und Unterstützung erhielt - wer sägt schon gerne an dem Ast, auf dem er selber sitzt ? Es wäre vermutlich vermessen gewesen aus der Start-up und Web2.0-Szene der Stadt ernsthaften Gegenwind gegen diese Satire zu erwarten.
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Zweites Bündnis
Verstoßen aus dem Zentrum
Seit dem Jahr 2009 sah man sich bei der Politik- und Satireplattform moderne21 gezwungen, sich um mehr als ausschließlich um Inhalte zu kümmern, da ihre kreative Wahlheimat, das im Zentrum der Hauptstadt gelegene weltbekannte Berliner `Kunsthaus Tacheles´, allmählich Begehrlichkeiten bei Investoren und Bauspekulanten weckte.
Zusammen mit den Künstlern der Berliner Institution, die jährlich über 400.000 Besucher zählte, leisteten Aktivisten und Unterstützer Aufklärungsarbeit über den sich abzeichnenden 'Tacheles-Skandal', in dem die Hauptstadt-SPD unter Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit eine unrühmliche Rolle spielte. Trotz dreieinhalb Jahren zähen, kreativen und friedlichen Widerstandes wurde das `Kunsthaus Tacheles´ im September 2012 auf Betreiben der HSH-Nordbank von der Polizei geräumt - eine empfindliche Niederlage für die Politik- und Kunstplattform und ihre Initiativen. Dem Umzug der Kernbelegschaft der `Tachelesen´ aus der Berliner Kreativen Mitte, ins angesagte wenn auch deutlich abgelegenere, Neuköllner `Rollbergviertel´ folgt man mit moderne21 jedoch nicht.
Nun stellt sich allerdings in elitären Kunstkreisen die frage, ob die Politik- und Kunstplattform wenn schon nicht mehr geographisch so doch zumindest noch inhaltlich zur ominösen 'Kreativen Mitte', die in den 2010er Jahren in der Hauptstadt offensichtlich eine Art Qualitätssiegel darstellt, gezählt werden kann: Die Mitte sei zwar nicht perfekt, aber sie sei immer noch das Beste, was wir haben: Linker als rechts - rechter als links ... . Gute Menschen und Unmenschen machten um sie gleichermaßen instinktiv einen Bogen. Die Mitte sei nicht extrem, sie könne es nicht sein - außer in Zeiten, in denen ohnehin alles zu Extremen neige. Von solchen Zeiten seien wir zwar weit entfernt, aber dennoch beugten wir mit Hilfe anheimelnder Aktionen und kryptischen Kunstformen lieber vor.
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Vertreibung
¡Adios Amigos!
Im Nachhinein können kaum Zweifel daran bestehen, dass die Macherinnen und Macher der Initiativen `Dudelstopp´, `Wir-sind-wichtig´, `Wahlzusage´ und `Gewalt-geht-immer´ von ihrer Verbindung mit der robusten Ruine in Berlin-Mitte stark profitierten. Man war gerade noch zur richtigen Zeit am richtigen Ort dabei, bevor in der selbsternannten Kulturmetropole Berlin endgültig die Amigos das Ruder an sich reißen und das gewachsene Kunsthaus im Namen der 'Stadtentwicklung' zerstören konnten.
Die über lange Zeit rechtlich prekäre Situation des Tacheles ließ die Künstler eine effektive Wagenburgmentalität entwickeln. Sie führte neben vielen nötigen Zugeständnissen und persönlichen Opfern der dort Ansässigen und Arbeitenden positiv dazu, dass die verschiedenen Fraktionen und Einzelpersonen sich über kreative, ideologische und kulturelle Barrieren hinweg verständigten und arrangierten. Im Gegensatz zu anderen durch Politik und Wirtschaft abgesicherten Kultur-Institutionen waren die `Tachelesen´ davor gefeilt, in elitärer Selbstgefälligkeit zu verharren: Sie mussten sich und
ihre Kunst immer wieder auch vermeintlich `unter Preis´ - etwa an die Touristenströme – verkaufen, um den Fortbestand des unabhängigen Hauses zu sichern.
Offenbar machte sich das Kunsthaus bei den Berliner Entscheidungsträgern dadurch verdächtig, dass es sowohl ohne nennenswerte Sponsoren als auch ohne die Unterstützung verdienter Parteipolitiker auskam. Als progressive Künstlerinitiative gestartet, wurde die Institution einerseits der politischen Linken Berlins bald zu undogmatisch – andererseits erwiesen sich Konservative und Liberale als unfähig, die in den eigenen Sonntagsreden gepriesene freiheitliche Selbstbestimmung, die tagtäglich im und ums Tacheles herum gelebt und verteidigt wurde, zu erkennen und zu unterstützen. Wer weiß, ob sie noch einmal eine ähnliche Chance erhalten.
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Wahlkampf
Von Tacheles zu Tucholsky
Unmittelbar vor der Bundestagswahl 2013 wurde das Hörspiel `Staatsnah ... geht die Moderne stiften´ von Hartmut Lühr veröffentlicht, das sich satirisch mit dem institutionalisierten Stiftungswesen auseinandersetzte:
Das Stück spielte in der imaginären Zentrale der staatsnahen Stiftung "moderne21", in der es hoch her ging: Um die nur an einen einzigen Bewerber zu vergebenden Fördergelder konkurrierten gleich vier Vereine, die jeweils einen persönlichen Vertreter vorbeigeschickt hatten. Die Kuratoren sahen sich vor eine schwere Wahl gestellt, denn die um die kräftige Finanzspritze streitenden Damen und Herren der Initiativen "Dudelstopp", "Wir-sind-wichtig", "Wahlzusage" und "Gewalt-geht-immer" gingen alles andere als zimperlich miteinander um. Wer stritt am gewieftesten für seinen Verein? Wer beherrschte den im öffentlichen Diskurs seit einigen Jahren dominierenden 'Neusprech' am besten ? Gegen Ende der Politsatire sollte es eigentlich einen ehrlichen Gewinner geben. Aber entgegen aller Routine war Betrug im Spiel und es lief doch nicht alles glatt.
Zur Premiere in der Berliner Tucholsky-Buchhandlung erschien auch die offizielle Sprecherin des Deutschen Stiftungsverbandes, die sich mit der Art und Weise, wie in dem Hörspiel mit bürgerlichem Engagement umgegangen wird, nur wenig anfreunden konnte. Immerhin blieb die Wahlberichterstattung des Jahres 2013 von dem Hörspiel mit seinen Sprechern um Manfred Callsen nicht gänzlich unbeeinflusst: Ein bekanntes Hamburger Nachrichtenmagazin hielt die satirische Figur der `Sonja Schmidt-Peters´ für real und ließ in seinem Titelstory-Pamphlet über Nichtwähler kein gutes Haar an der von Schauspielerin Nadia Panknin mit überzeugender Hingabe gespielten Rolle. Es folgte ein 'Shitstorm' im Internet, worauf sich das Magazin offenbar veranlasst sah, eine Ausgabe später eine Korrektur veröffentlichen. Eine verdiente späte Genugtuung für die Mitstreiter von moderne21.
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Initiative 'Dudelstopp'
Lautstarker Einsatz für die Stille
Als soziale Bewegung, die sich u.a. mit satirischen Mitteln Gehör verschafft, engagiert sich die Initiative `Dudelstopp– Musik ohne Zwang´ gegen unfreiwilligen Musikkonsum im alltäglichen Leben. Handelt es sich bei diesen Leuten um Profilneurotiker und Sonderlinge oder haben sie tatsächlich recht, wenn sie eine Gesellschaft fordern, in der Musik möglichst im Einvernehmen aller Anwesenden erklingen soll ?
Zunächst polterte man unter dem Slogan `Musik ohne Zwang´ heftig gegen die Freunde kostenloser Hintergrundmusik und heimste damit zahlreiche Solidaritätsbekundungen überforderter Verbraucher ein. Mit Aussagen wie „unter einem wummernden Kophörer ist selten die Intelligenz, aber um so häufiger das ADS-Syndrom zu Hause“ wurde billiger Beifall eingeheimst. Zunächst hielt Dr. Sonja Peters (inzw.: Schmidt-Peters) vom Verband der dt. Beschallungsindustrie (VDBSI) als eine der wenigen Besonnenen mit nüchternen Argumenten dagegen. Heute arbeitet sie für uns, wobei das mediale Umfeld nicht einfach ist:
Die Inhalte von Privatsendern wie RTL2 oder Pro7 lassen die Jugend nicht aggressiv werden oder verrohen, sondern bereiten sie im Gegenteil darauf vor, alltägliche Probleme in zivilisierter Form mit Hilfe von Argumenten in den Griff zu bekommen. Es gibt also Grund zur Hoffnung auf weiterhin angemessene Umgangsformen in der Bundesrepublik.
Aber nicht nur Jugendliche machen/haben Probleme: Durch die geplanten Tarifsteigerungen der Rechtegesellschaft GEMA für das öffentliche Abspielen von Musik sehen sich viele Gewerbetreibende in ihrer Existenz bedroht. Nun geriet auch die Initiative `Dudelstopp´ in die Kritik: Mit ihrem Engagement soll sie den Boden für das umstrittene Vorgehen der Gema bereitet haben. Ein schwerer Vorwurf! Dennoch stehen auch Kulturschaffende auf unserer Seite: Der ehemalige Musiker Hardy Klaschka beispielsweise versucht, unserer Initiative Fördergelder einer Hamburger Stiftung zu sichern. Um die Wirtschaft nicht zu verprellen, gibt er sich unter dem Deckmantel der `Satire´ vorübergehend tolerant gegenüber den Verteidigern und Profiteuren von Wartezimmer-, Fahrstuhl- und anderer Konservenmusik.
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Initiative 'Gewalt geht immer'
Gebt eure Waffen ab !
Der Umgang mit Gewaltkriminalität durch Polizei, Justiz und Innenpolitik ist vorbildlich und wird von den Bürgern mit großem Vertrauen belohnt. Gewalt ist ein natürlicher Teil der sozialen Ordnung – ohne sie käme es zu Anarchie. Verantwortungsbewusste Frauen und Männer sollten sich bemühen, aggressive Menschen nicht durch übertrieben selbstbewusstes oder unnötig couragiertes Verhalten zu provozieren.
Öffentliche Diskussionen über Kriminalpolitik drehen sich häufig um Phänomene aus den Schlagzeilen, wie Killerspiele, Raubüberfälle oder Geiselnahmen. Verantwortliche aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft stellen sich dabei dem Unmut vieler Bürger über paradox wirkende Urteile aus der Strafjustiz und die angeblich zunehmende Gewaltbereitschaft. Aber auch wir müssen uns Kritik stellen: Mitglieder des überparteilichen Arbeitskreises Gewaltverbrechen – nein, danke ! ("Gebt Eure Waffen ab und lasst den Hass zu Hause!") kritisieren die Initiative `Gewalt geht immer´, weil man dort eine Versöhnung zwischen Gewaltkriminalität und Gesellschaft sowie das Ende der Legende eines möglichen Abbaus gefährlicher Kapitalverbrechen fordert.
Die meisten vom Projekt Gewalt-geht-immer dokumentierten Aussagen verdeutlichen, dass es zum Thema 'Umgang mit Schwerkriminellen' nahezu ebenso viele Meinungen wie Experten gibt - Christian Pfeiffer und Toni Feller lassen grüßen. Klar ist nur, dass Eugen Sorg mit seiner Argumentation für die Existenz des Bösen auf der Welt gänzlich falsch liegt. Derweil war Alexander Opaschewsky dieses Jahr unser Mann in Hamburg: Bei der zivilgesellschaftlichen Stiftung 'moderne21' kämpfte er für unsere Initiative um die jährlich fließenden Fördergelder aus dem Spendentopf. Das Rennen machte zwar die Konkurrenz, aber dennoch gelang es Opaschewsky, dass über `Gewalt geht immer´ viel diskutiert wurde.
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Initiative 'Wahlabsage'
Wählen oder Nicht-Wählen
Nichtwähler hatten über Jahrzehnte einen denkbar schlechten Stand in der Öffentlichkeit und sahen sich viel Kritik und Anfeindungen ausgesetzt. Nach der Wahl des 'Unmenschen' Donald Trump, dem verlorenen Brexit-Referendum und dem Erscheinen der AfD begegnen Politiker und Meinungsmacher ihnen mittlerweile jedoch mit deutlich mehr Nachsicht. Was steckt hinter dieser neuen Sanftheit: Pragmatismus oder Heuchelei ?
Die Frage 'Wählen oder Nicht-Wählen' entzweit in letzter Zeit die Meinungen sowohl professioneller als auch normaler politischer Beobachter in der Bundesrepublik. Wir unterstützen die Bemühungen von Vereinen wie dem Bundesverdienstkreuz-bewährten `Mehr Demokratie e.V.´ zur Förderung von mehr Volksabstimmungen und einem besseren Wahlrecht. Satire entspringt schließlich häufig dem Wunsch nach Veränderungen. Dies sehen auch viele Mitstreiter der Initiative `Wahlabsage´ so.
Was ist heutzutage eigentlich noch 'links' und was 'rechts' ? Diese Frage beschäftigt nicht nur den einen oder anderen verträumten Feuilletonisten, sondern auch uns von der Initiative 'Wahlabsage'. Ausnahmslos jede respektable politische Aktrice und jeder Akteur wird sich in diesen Tagen realistischerweise im politischen Spektrum `links´ verorten, wenngleich `linkes Fühlen´ durchaus nicht zwangsläufig zu `linkem Handeln´ führen muss. Nicht zuletzt, da das wirklich Politische heute kaum noch Macht hat und an diesem Zustand ohne Gewalt nichts zu ändern ist. Gewalt ist selbstverständlich ein vollkommen untaugliches Mittel, etwas zu verändern. Anders sieht es da schon mit politischen Stiftungen aus: Jährlich vergibt die Stiftung `moderne21´ Fördergelder an eine besonders verdiente zivilgesellschaftliche Initiative. Zuletzt holte unsere Mittels`frau´ Aleyna Gökdal die Mittel zu `Wahlabsage´. Diese Initiative tritt zwar für jedwede Quotierung in der Berufswelt ein, aber dass es in diesem Fall ganz ohne ging, erfüllt uns doch mit einem gewissen Stolz.
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Initiative 'Wir sind wichtig'
Karrierefrauen und Karrieremänner würdigen
Immer mehr Menschen treten wegen ihrer Unentbehrlichkeit in Beruf und neuen Medien in ihrem Sozialleben kürzer. Sie bringen große Opfer für das Funktionieren der Wirtschaft und damit das Gemeinwohl. Der daraus häufig resultierende Verzicht auf Familienleben und emotionale Stabilität ist kein Pappenstiel. Die Initiative 'Wir-sind-wichtig' zollt den modernen Bürgern zusammen mit der Politik daher größten Respekt.
Der Name 'Wir sind wichtig' dieser wirtschaftsnahen Initiative beschreibt die verbreitete Selbsteinschätzung moderner Individualisten. Sich ihrer Einzigartigkeit bewusste und von Bindungszwängen weitestgehend befreite Menschen bilden das Rückrad einer leistungsfähigen Ökonomie sowie eines expandierenden Wohlfahrtsstaats. Und das ist gut so. Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft sollten den Gelderwerb im Allgemeinen und die berufliche Karriere im Besonderen als Dreh- und Angelpunkte modernen Lebens aufwerten. Illusionen schutzspendender familiärer Bindungen sind trügerisch und gefährlich. Viel eher müssen Karrierefrauen und Karrieremänner gewürdigt, ermutigt und getröstet werden.
Die forcierte Globalisierung verlangt den Menschen große Opfer für das Funktionieren der Wirtschaft ab. Oft ohne, dass diese sich dessen bewusst sind. Dahinter steckt zwar keine böse Verschwörung, aber weil der Verzicht auf Familienleben und emotionale Stabilität kein Pappenstiel ist, muss die `kreative Mitte´ den Menschen mit Zerstreuung Trost verschaffen. Kritik an den Folgen der individualisierten Gesellschaft ist potentiell unbequem. Gerade die Redakteure der Massenmedien halten sich hier auffällig zurück. Daher setzte moderne21 für die 'wir-sind-wichtig'-Initiative zunächst auf den üblichen und bewährten `Betroffenheits-Jargon´ für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Die positive Resonanz gab den Aktivisten recht.
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Satire-Hörspiel
Moderne und staatsnahe Stiftung
Die staatsnahe Stiftung 'moderne21' fördert jährlich eine zivilgesellschaftliche Initiative mit einer hohen Summe. Dieses Mal gibt es gleich vier Bewerber, die die Stiftungskuratoren vor eine schwere Wahl stellen: Um die Finanzspritze konkurrieren persönliche Vertreter der Initiativen `Dudelstopp´, `Gewalt-geht-immer´, `Wir-sind-wichtig´ und `Wahlzusage´. Wer streitet vor den Kuratoren am gewieftesten für seine Initiative ? Die Antwort auf diese Frage wurde als Satire-Hörspiel festgehalten.
Aleyna Gökdal vertritt die Initiative `Wahlabsage - Mehr Demokratie, weniger Politik´ aus ureigenster Überzeugung. Litt sie doch als Jugendliche mit Migrationshintergrund ganz besonders unter dem deutschen Schulsystem, für das Gerechtigkeit und Gleichheit nach wie vor Fremdworte sind. Nur die Politik kann hier ihrer Ansicht nach für Fortschritt sorgen.
Der Initiative `Dudelstopp – wollen wir Friedhofsruhe ?´ möchte der ehemalige Musiker Hardy Klaschka Fördergelder sichern. Die Bewegung will der mit dem demographischen Wandel aufziehenden Friedhofsruhe mit einem beherzten Beschallungsprogramm entgegenwirken. So etwas kostet natürlich Geld, denn selbst Konservenmusik ist nicht umsonst.
Manuela Holpert-Mang ist der Überzeugung, dass das Stiftungsgeld bei der Initiative `Wir sind wichtig – der Wirtschaft zuliebe´ am besten angelegt wäre. Unterstützt die Gruppe doch seit Jahren moralisch jene Menschen, denen die vollständige Ausrichtung ihres Lebens nach den Bedürfnissen der Ökonomie zunehmend Probleme bereitet.
Die Initiative `Gewalt geht immer – violare humanum est´ schließlich wäre für Albrecht Opaschowsky der geeignetste Nutznießer der Förderung. Die Organisation räumt nach eigenen Angaben mit rosaroten Illusionen bei der Kriminalpolitik auf und hilft so den Bürgern, die Gefahren des Alltags realistischer einzuschätzen und sich selbst zu schützen.
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Bündnis 'Kreative Mitte'
Das Beste, was wir haben
Die Mitte ist zwar nicht perfekt, aber sie ist das Beste, was wir haben: Linker als rechts - rechter als links ... . Gute Menschen und Unmenschen machen um sie gleichermaßen instinktiv einen Bogen. Die Mitte ist nicht extrem, sie kann es nicht sein - außer in Zeiten, in denen ohnehin alles zu Extremen neigt. Von solchen Zeiten sind wir zwar weit entfernt, aber dennoch beugen wir lieber vor.
Die `kreative Mitte´ steht linker als rechts und rechter als links: Gute Menschen und Unmenschen machen um sie gleichermaßen instinktiv einen Bogen. Das ist auf jeden Fall ein positives Zeichen: Gemeinsam gegen Störenfriede und Provokateure ... Die Staatsräson der Konsensgesellschaft ist uns schließlich seit Jahrzehnten lieb und teuer. Über die Verortung der `kreativen Mitte´ innerhalb der politischen Geometrie machen sich viele kluge Köpfe Gedanken. Fest steht jedenfalls: Ob Egalitarismus, Individualismus oder Humanitarismus; Soziokratie, Demokratie oder Plutokratie - hierüber sollte man schwindelfrei grübeln und mit beiden Füßen fest auf der Erde stehen. Oder darüber. Daneben ?
Die von den vielen Handlungsoptionen der Postmoderne bereits stark überforderten Menschen sollen nicht noch zusätzlich verunsichert werden. Die Bemühungen der Mächtigen in Wirtschaft und Politik um die sichere Zukunft der Gesellschaft sind daher nicht durch überzogene basisdemokratische Anforderungen zu erschweren. Das ist in der Kunst ähnlich. Die `kreative Mitte´ ist nicht an eine einzelne Stadt oder gar einen speziellen Bezirk gebunden, aber dennoch macht man sich in Berlin-Mitte, wo einst auch das `Kunsthaus Tacheles´ stand, besonders viele Gedanken über die Beschreibung als `kreativ´. Klingt das nicht zu elitär ? Will man wirklich so sein ? Grenzt man damit nicht andere aus ? Im Vorfeld der Präsentation eines Manifests der 'Kreativen Mitte' Berlins wurde Kritik an dessen erwarteter ideologischer Ausrichtung laut. Möglicherweise spielte dabei die anti-etatistische Koketterie der Veranstalter eine Rolle, die dem traditionell der Idee des Versorgungstaats anhängenden Künstlermilieu entgegen läuft.
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Bündnis 'Berliner Mehrwert'
Berlin ist mehr wert
Die Kritik daran, dass Berlinerinnen und Berliner als Hauptprofiteure des Länderfinanzausgleichs de facto `mehr wert´ sind als Bewohner anderer Bundesländer, läuft ins Leere. Vielmehr werden aus der von den Hauptstädtern geleisteten gesellschaftspolitischen Pionierarbeit früher oder später alle Bürger großen Nutzen ziehen, denn die Aufwertung des Berufs- gegenüber dem Familienleben ist unumkehrbar.
Seit einiger Zeit ist das Phänomen des 'Berliner Mehrwerts' Gegenstand einer neuen Gerechtigkeitsdiskussion um die nicht zuletzt durch den Länderfinanzausgleich bedingte finanzielle Besserstellung der Hauptstädter auf Kosten der Steuerzahler in anderen Bundesländern. Berlin hat unbestreitbar eine gesellschaftspolitische Vorreiterinnenrolle inne. Das Gezerre um den Länderfinanzausgleich bietet daher die Chance, auch noch auf anderen gesellschaftspolitischen `Baustellen´ voranzukommen. Die durch den Gesetzgeber geförderte Angleichung der Geschlechter, die in Berlin bereits besonders weit fortgeschritten ist und die das tägliche Zusammenleben weiblich, männlich und divers geprägter Menschen weitaus erträglicher macht als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war, ist nur ein Aspekt der Fortschrittsorientierung der Hauptstadt.
Wenn man die Themen 'quasi-staatlicher Zwang zu hedonistischen Lebensstilen', 'Selbstausbeutung in der digitalen Bohème' und 'Vereinsamung durch Individualismus' behandelt, kommt man um eine Bestandsaufnahme über das Leben in der Hauptstadt Berlin nicht herum. Glücklicherweise erweisen sich viele Einwohner der Spree-Metropole als sehr auskunftsfreudig: Im Zuge der Aktion 'Wir Berliner sind wichtig(er)' wurden Bewohner der Hauptstadt über ihre Meinung zum Verhältnis zwischen der einzigen deutschen Metropole und dem Rest der Republik befragt. Die Antworten waren mitunter sehr aufschlussreich.
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Kunsthaus Tacheles
Die Mitte hatte mal ein Kunsthaus
Hier finden sich einige Gedanken, Fakten und Verweise zum Berliner Tacheles-Skandal. Das weltbekannte Kunsthaus wehrte sich jahrelang gegen die Machenschaften einer enthemmten Finanzindustrie. Berliner Politiker - wie etwa Kultursenator Klaus Wowereit - konnten oder wollten den Künstlern nicht helfen (Einige Personen- sowie Firmennamen wurden als Schutz gegen professionelle Rechtsverdreher geändert).
Die näheren Umstände des Tacheles-Verkaufs in 1998 müssten eigentlich juristisch aufgeklärt werden. Die Steuerzahler fragen zu Recht, wer von dem im Nachhinein rechtlich fragwürdig wirkenden Deal profitiert hat: Die Bürger sowie die Künstlerinnen waren es jedenfalls nicht. Scheinbar haben Unternehmer zusammen mit ihnen gewogenen Politikerinnen das Gemeinwesen übervorteilt. Entgegen dem Vorhaben der Zwangsverwalter, die sie lieber gestern als heute rauswerfen wollten, verweilten die Künstler noch lange im Tacheles. Sie erhielten viel Rückhalt von den Bürgern. Die Gläubiger-Bank hätte einsehen müssen, dass sich das gesamte Areal nicht mehr im Eigentum ihrer insolventen Schuldnerin sondern der Bundesrepublik Deutschland befand.
Auf politischer Ebene werden Kultursenator Klaus Wowereit (als Bürgermeister konnte er noch nicht genug Gutes für Berlin tun, daher war er zusätzlich auch noch Kultursenator) sowie der Bundestags-Kulturausschuss nicht darum herum kommen, sich offenen Fragen im Tacheles-Skandal endlich zu stellen und eine nachträgliche Einigung jenseits privater Security-Gewalt herbei zu führen. Bei einem weiteren Herauszögern der Aufklärung des Tacheles-Skandals wird die SPD weiteren politischen Schaden nehmen. Es gibt immer mehr Versuche, Besitzverhältnisse am Recht vorbei mit Hilfe privater Sicherheitsdienste zu verändern. Stellvertretend für viele Opfer leisten die Künstler des weltbekannten Tacheles Öffentlichkeitsarbeit gegen die neuen Methoden der White-Collar-Kriminellen. Ihr Berliner Tacheles-Skandal darf nicht zum Menetekel für unsere Gesellschaft werden.
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ZIVILGESELLSCHAFTLICHE INITIATIVEN UNTER DEM DACH VON moderne21:
DIE NAMEN DER BETEILIGTEN SIND AUF DEN JEWEILS VERLINKTEN SEITEN AUFGEFÜHRT
Handzahme politische Systemkritik gegen wachsende Staatsphobie
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POLITISCHE AKTIONSKUNST
Handzahme Systemkritik
Bis vor kurzem galt die Politik- und Satireplattform moderne21 noch als aggressiv und unversöhnlich. Inzwischen geben sich ihre Aktivisten moderater. Und haben damit Erfolg.
Die Macher von moderne21 betreuen von Berlin aus vier gesellschaftspolitische Projekte. Das ist deutlich weniger als die Nudging-Arbeitsgruppe der Bundesregierung oder die parteinahen Stiftungen anbieten und schlägt daher laut Initiator Hartmut Lühr lediglich „mit Kosten im Promillebereich entsprechender offizieller Budgets“ zu Buche. Was der Aktionskünstler verschweigt ist, dass der Grad der Selbstausbeutung seiner Mitstreiter, die allesamt der neu entstandenen `digitalen Bohéme´ zuzuordnen sind, sehr hoch sein dürfte. Möglicherweise macht aber auch die inhaltliche Konzentration auf besonders sinnbildliche Probleme moderner Gesellschaften - wie Entwurzelung und Gewalt - die Stärke der ausgewählten Projekte aus, die in erster Linie über Videos und öffentliche Diskussionen ihr Publikum finden.
Auf der Startseite des eigenen Internetauftritts heißt es bescheiden: „Wir geben jenen Fehlgeleiteten eine Stimme und ein wenig Halt, die fälschlicherweise meinen, sie würden von staatlichen Institutionen bevormundet, von Politikern übervorteilt oder von der Wirtschaft ausgebeutet.“ Das klingt wenig spektakulär aber möglicherweise lassen sich gerade mit diesem wenig subversiven und dafür umso gefühlsbetonteren Stil bereits verloren geglaubte desillusionierte Menschen für das System der parlamentarischen Demokratie zurückgewinnen.
Vor etwas mehr als einem Jahr hielt man bei moderne21 noch die Selbstbestimmung des Individuums als Ideal hoch und kritisierte im Rahmen der vier Projekte Wir-sind-wichtig, Wahlabsage, Dudelstopp und Gewalt-geht-immer Phänomene wie politische Denkverbote oder die Zunahme vorzivilisatorischer Verhaltensweisen im täglichen Leben:
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Violare Humanum Est
Das Projekt Gewalt-geht-immer thematisiert unter dem Motto `violare humanum est´ den für Laien häufig paradox anmutenden offiziellen Umgang mit Gewaltkriminalität. Die Ansicht, das Strafrecht wirke nicht abschreckend, weil immer mehr Gewaltverbrecher in Deutschland ohne gerichtliche Verurteilung davonkommen, ist tatsächlich weit verbreitet und nicht ganz von der Hand zu weisen.
Allzu oft wird hierbei allerdings übersehen, dass die Begleitumstände von Gewaltkriminalität unverzichtbare Voraussetzung für hochprofessionelle Berufszweige in Justiz, Sozialarbeit oder der Sicherheitsindustrie sind. Deren Interessen sind naturgemäß wesentlich besser organisiert als die zusammengeschlagener Jugendlicher oder vergewaltigter Frauen. Diesen Zusammenhang stellen die Aktionskünstler deutlich heraus.
Ihr Projekt steht keiner politischen Partei, keiner staatlichen Institution und noch nicht einmal einem großen Medienunternehmen nahe, weshalb sie kein Blatt vor den Mund nehmen müssen: „Es ist tragisch, dass Bürgerinnen und Bürger Gewaltkriminalität immer ohnmächtiger gegenüber stehen. Nicht selten begeben sich allerdings Menschen auch freiwillig in gefährliche Situationen, so dass leider oft von einer erheblichen Mitschuld der Verbrechensopfer gesprochen werden muss“, heißt es auf der Homepage des Projekts.
„Das scheinen maßgebliche Politiker tatsächlich so zu sehen. Ehrlich darüber sprechen können sie nicht, sonst würden sie das staatliche Gewaltmonopol in Frage stellen“, bedauert der Jurist und moderne21-Unterstützer Dr. Eberhard Klaschka.
Offenbar ist es zeitgemäß und zudem wichtig, den neuen Trend zur Kriminalisierung von Opfern schwerer Gewalttaten mit satirischen Mitteln aufzuzeigen. Gefährdeten Menschen kann auf diesem Wege verdeutlicht werden, welche Risiken sie mit übertrieben couragiertem oder einfach auch nur selbstbewusstem Verhalten eingehen, wenn sie mit aggressiven Tätern konfrontiert werden: Wegsehen oder Abhauen ist oft die gesündere Alternative.
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Ausbleibende Friedhofsruhe
Das Projekt Dudelstopp beschäftigt sich mit Gratismusik im öffentlichen Raum. Zunächst polterte man unter dem Slogan `Musik ohne Zwang´ heftig gegen die Freunde kostenloser Hintergrundmusik und heimste damit zahlreiche Solidaritätsbekundungen überforderter Verbraucher ein. Mit Aussagen wie „unter einem wummernden Kophörer ist selten die Intelligenz, aber um so häufiger das ADS-Syndrom zu Hause“ wurde billiger Beifall eingeheimst. Einer differenzierten Betrachtung der komplizierten Problematik um Hintergrundmusik, die für viele die Lebensqualität erhöht und sie für wenige reduziert, war das alles eher hinderlich.
Die Stopper führten Musikkonserven-Attacken von Jugendlichen -beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr- als Beleg für die Entzivilisierung junger Menschen an: Heranwachsende wüssten durch das immer häufigere Fehlen von Geschwistern oder Vätern in der typischen modernen Familie mit Werten wie `Rücksicht´ nichts mehr anzufangen. Aussagen dieser Art mussten ohne ausreichende wissenschaftliche Beweise haltlos bleiben und stießen verständlicherweise bei den Redakteurinnen der öffentlich-rechtlichen Massenmedien auf wenig Gegenliebe. Die Aktion drohte für die Öffentlichkeit in Vergessenheit zu geraten.
Gegen die viel zu einseitige Vorgehensweise der Dudelstopper wandte sich Dr. Sonja Peters aus München-Schwabing: „Es muss ein fairer Ausgleich zwischen den Interessen der Musikindustrie und den wenigen Menschen herbeigeführt werden, die ihre Freiheit durch umsonst bereitgestellte Unterhaltungsprodukte aus welchen Gründen auch immer eingeschränkt sehen.“ Mit dieser klaren Kampfansage gegen allzu platten Populismus auf dem Rücken der durch die negativen sozialpsychologischen Begleiteffekte des demografischen Wandels ohnehin schwer angeschlagenen Jugend setzte sich die smarte BWL-Dozentin aus Bayern durch und wird in Zukunft das Image von Dudelstopp weiter entradikalisieren. Peters´ neuer Slogan für das Projekt lautet „Wollen wir Friedhofsruhe ?“.
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Politik oder Demokratie?
Das zunächst noch sehr populistisch angehauchte Projekt Wahlabsage setzte sich mit dem Nichtwählerphänomen auseinander. Unter der Devise „Mehr Demokratie, weniger Politik“, die sich gegen die wachsende Politikverdrossenheit richtete, erntete man zunächst einiges an Aufmerksamkeit. Dass bei der Behandlung des sensiblen Themas aber zum Teil auch falsche Töne angeschlagen wurden, merkte Politikwissenschaftlerin Uta Hanak spätestens als sie die Kommentare zum ersten Wahlabsage-Videoclipp im Internet las: „Wir wurden sehr hart angegangen. Neben einer Minderheit, die mit unserer Arbeit einverstanden war, bezog das Projekt verbale Prügel sowohl von Jungsozialisten als auch von jungen Deutschnationalen, die jeweils ihre politischen Vorstellungen durch Projekte wie unseres gefährdet sahen.“
Diese Schmähungen war sie nicht länger bereit zu dulden und setzte sich damit auch bei ihren Mitstreitern von moderne21 durch.
So wechselte das Projekt seinen Namen in Wahlzusage, um folgerichtig künftig für „Mehr Politik und weniger Demokratie“ einzutreten: „Eins von beiden geht leider nur, schon alleine wegen der Logik“, bedauert Hanak, die den Richtungswechsel bis heute verteidigt, auch wenn die Medien dem neuen Projekt bislang die kalte Schulter zeigen. Eine unvermeidliche Folge des Wechsels von schrillen hin zu verantwortungsvollen Darstellungsformen ?
Auf der Homepage heißt es: „Wenn einer Demokratie die Wähler ausgehen, droht über kurz oder lang die Anarchie – menschliches Miteinander ohne staatlichen Ordnungsfaktor kann jedoch kein vernünftiger Mensch ernsthaft befürworten.“
Die Aktivisten dürfen sich von Politikern wie Jörn Thießen (SPD) bestätigt sehen, die mittlerweile die Einführung der Wahlpflicht für die Bundesrepublik fordern.
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Die Wirtschaft dankt
Der Name Wir-sind-wichtig des jüngsten Projekts beschreibt eine stark verbreitete Selbsteinschätzung moderner Individuen. Sich ihrer Einzigartigkeit bewusste und von Bindungszwängen weitestgehend befreite Menschen sind das Rückrad einer leistungsfähigen Wirtschaft und eines expandierenden Wohlfahrtsstaats. Bei der Kunstplattform moderne21 hat man die stetig wachsende Zahl durchökonomisierter Biografien, die den Anforderungen des kapitalistischen Marktsystems voll und ganz gerecht werden, bereits seit mehreren Jahren aufmerksam verfolgt und will die Millionen Einzelkämpfer mit dem neuen Projekt würdigen, ermutigen und trösten.
Der ehemalige Musikmanager Ludwig Kamberlein, der das Projekt betreut, hält es für wichtig, dass die psychologischen Folgen des Wirkens mehrerer Generationen von Sozial- und Wirtschaftspolitikern sowie von Managern „endlich einmal im Rahmen einer ambitionierten und ungewöhnlich ehrlichen Projektreihe dokumentiert werden.“ Die Bürger bringen mittlerweile große private Opfer für das reibungslose Funktionieren von Wirtschaft und Sozialstaat, die noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar gewesen wären. In der Folge fühlen sie sich berechtigterweise einfach zu wichtig, um ihre Lebenskraft und ihre Kreativität für anfällige soziale Bindungen in Familie, Freundeskreis und Nachbarschaft drohendem Verschleiß auszusetzen. „Dass viele als Ausgleich für wachsende Einsamkeit auf Konsum und Selbstverwirklichung setzen, ist doch nur zu verständlich. Sollen wir ihnen ihren einzigen Trost etwa madig machen ?“, fragt Kamberlein und klingt dabei ehrlich bekümmert.
Zusätzliche Identitäten und riesige anonyme Freundschaftsnetzwerke im Internet sind im Kommen und nichts, weswegen moderne Individualisten sich schämen sollten. Die Menschen mögen früher lebenslange und verlässliche soziale Bindungen miteinander eingegangen sein – heute kann sich jeder mit seinen vielen Talenten überall wenn nicht ständig als Superstar so doch wenigstens als ewiger Geheimtipp im Netz oder in der kleinen Galerie nebenan fühlen.
Die Macher von Wir-sind-wichtig interpretieren das als zivilisatorischen Fortschritt, den sie moralisch unterstützen wollen.
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Und nun ?
Inzwischen hat man sich weiter entwickelt, hat sich der grundsätzlichen Kritik am Kapitalismus durch die maßgeblichen politischen Kräfte angeschlossen und mahnt folgerichtig einen kontinuierlichen Ausbau des Wohlfahrtsstaates an. Denn auch bei der Berliner Politikplattform hat man begriffen, dass Bestrebungen nach mehr individuellen Freiheiten durch den rapiden Abbau familiärer und sozialer Bindungen der Menschen immer mehr der Boden entzogen wird. Vor diesem Hintergrund an emanzipatorischen Zielen festzuhalten, hieße die Lebenswirklichkeit einer wachsenden Bevölkerungsmehrheit zu ignorieren und so das Unbehagen der durch ihren rasanten Wandel zutiefst verunsicherten Gesellschaft unnötig zu verstärken.
Die Aktivisten haben eingesehen, dass dem Staat wachsende Verantwortung für die Bürger zukommt, die - in die richtigen Bahnen gelenkt – möglicherweise sogar Zufriedenheit und Zuversicht bei den Menschen stärken kann.
Mit dem neuen moderaten Stil hat man bei moderne21 offenbar viel dazugelernt. Ob die Einsicht in frühere Fehler authentisch ist, innerer Überzeugung entspringt oder einfach nur Teil einer neuen Verwirrungsstrategie gegenüber der gutgläubigen Öffentlichkeit ist, muss sich erst noch herausstellen. Jedenfalls könnte es das demokratische Miteinander in der Bundesrepublik tatsächlich stärken, wenn es gelänge, ehemals unberechenbare Freigeister in offene Politik- und Kunstplattformen wie moderne21 einzubinden, damit sie sich dort an einer fruchtbaren öffentlichen Diskussion über die Zukunft der Gesellschaft beteiligen.
Tatsächlich scheint die Bindungskraft der parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik größer als lange Zeit angenommen.
Der Beweis, dass die Akteure um Lühr nach früheren Misstönen tatsächlich geläutert ihrer Verantwortung als öffentliche Meinungsmacher gerecht werden, steht noch aus. Zunächst sollten sie einfach beim Wort genommen werden, wenn sie vorgeben, den konstruktiven Dialog mit den Mächtigen suchen und auf diese zugehen zu wollen, „um sie brüderlich zu umarmen“. Letzteres ist hoffentlich nicht doch als versteckte Drohung zu interpretieren.
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Aktivist beim vergeblichen Versuch, mit dem Bundesverband Musikindustrie Friedensverhandlungen aufzunehmen
Video-Stellungnahmen aus den 'Tacheles-Satiren'
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INITIATIVE DUDELSTOPP
Ärztliche und moralische Stellungnahmen
ÄRZTIN IN IHRER PRAXIS: Eigentlich bin ich ja Ärztin geworden, weil ich Menschen helfen wollte. Ich hab´ das während des Studiums mitbekommen, dass `Helfen´ durchaus auch ein gängiger Gedanke bei Kommilitonen war neben dem Mittwoch als Ruhetag. Die kriegen selbst die vielen Gesundheitsreformen nicht ganz aus einem raus, diese altruistische Grundeinstellung. Und deshalb hab´ ich da oft so´n ungutes Gefühl, wenn die Leute mit `ner gemeinen Grippe, mit Durchfall oder mit Ausschlag in meine Praxis kommen und ich lasse sie im Wartezimmer dann noch mit Radio HundertKommaKrampf zwangsbeschallen. Irgendwelche Verbandsfunktionäre haben nun einmal in den 90er Jahren festgelegt, dass die Gesellschaft der Sucht dieser bedauernswerten Lärmjunkies mit ihrer Stille-Phobie ebenso zu entsprechen hat wie beispielsweise dem Bedürfnis männlicher Singles über vierzig nach dem unbehelligten jährlichen Thailand-Urlaub.
MORALIST VOR DEM BERLINER ROTEN RATHAUS: Ich erinnere mich noch an die Verarsche eines Provokationskünstlers in so einer langweiligen Talkshow vom Alexanderplatz: Da hatte der eine scheinheilige Offerte an die Berliner Fascho-Rapper aus Kreuzberg abgegeben, ihnen eigenhändig Lesen und Schreiben beizubringen. Die engagierte Kultursenatorin, die auch in der Sendung war, hatte natürlich gleich Gift und Galle gespien: Solche unkorrekten Stänkereien würden die Anbiederungspolitik des Senats an den Pöbel aus den Problembezirken sabotieren. Dann hat sie noch rumgelabert, dass hinter den faschistoiden Lyrics dieser Chauvies für sensible Menschen ja durchaus eine unterdrückte Sehnsucht nach Frieden herauszuhören sei. Na klar - das würde ich natürlich auch behaupten, wenn ich diesen reaktionären Mist mit Riesensummen aus Steuern fördern würde. Manchen Leuten sind ihre Lebenslügen wirklich verdammt viel fremdes Geld wert !
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INITIATIVE DUDELSTOPP
Konsumistische, Insider- und historische Stellungnahmen
KONSUMENTIN: Natürlich schlägt einem das auf die Stimmung, wenn man beim morgendlichen Brötchenkauf mit so etwas wie Xavier Naidoo konfrontiert wird. Man fragt sich doch: Was habe ich eigentlich verbrochen ? Hab´ ich gestern aus Versehen das Hunde- mit dem Katzenfutter verwechselt oder den Müll falsch getrennt oder sowas ? Oder war ich in meinem vorigen Leben so ein schlechter Mensch, dass man mich deshalb mit Christina Aguilera bestraft, wenn ich mir heute einen Slip kaufen gehe in `nem Kaufhaus ? Diese Läden sind nun einmal ziemlich anonym und automatisiert, da kommen die damit durch. Sonst würde man die Leute ja vermutlich nicht so konfrontieren, wenn man ihnen beim live-Singen in die Augen schauen müsste !
INSIDER: Ich würde den Leuten bei der GEMA nicht vorwerfen, dass die vorsätzlich Mist bauen. Eigentlich möchte ich sie sogar in Schutz nehmen. Alle Organisationen entwickeln doch nach ein paar Jahrhunderten ein Eigenleben und entfernen sich von der Realität. Da kommen dann irgendwelche Brüder bei denen vorbei wie Pur oder Bushido und melden Ihre Machwerke als Musik an ... und die Angestellten denken dann vielleicht wirklich nicht an Naheliegendes wie geschlossene Psychiatrie oder Nötigung, sondern nehmen das guten Glaubens in ihren Katalog auf. Weil sie sonst Ärger mit dem Chef bekommen und weil sie vielleicht auch schon etwas abgestumpft sind. Und dann kann sich das Zeug natürlich ungestört verbreiten. Da muss keine böse Absicht dahinter stecken.
HISTORIKER: Als Historiker frage ich mich, ob man in diesen modernen Zeiten nicht einfach schon ein bisschen sehr verweichlicht ist ? Uns geht’s doch im Großen und Ganzen recht gut in Europa, oder ? Ich meine, bis vor 60 Jahren hatten wir hier noch `nen gigantischen grausamen Krieg mit Abertausenden von Toten. Im Mittelalter wütete die Kirche mit ihrer Inquisition und wollte am liebsten jeden verbrennen, der an sowas wie Vernunft im Menschen glaubte. Und wenn sie sie nicht gleich umbrachten, haben sie ihre aufgeklärt denkenen Opfer wenigstens gefoltert, ihnen Daumenschrauben angelegt oder sonst was Fieses. Also ich meine, im Vergleich dazu ist diese ärgerliche akustische Verfolgung durch Volksmusik und Hiphop wirklich `ne ganze Ecke weniger schlimm. Die kann man durchaus aushalten, davon stirbt man nicht.
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INITIATIVE DUDELSTOPP (fordert Ausgleichszahlungen für erlittene Dudelei)
Moralische und ärztliche Stellungnahmen
MORALIST: Es war ja damit zu rechnen, dass Lösungsvorschläge nicht aus den Reihen der Politik kommen, sondern dass sich eines Tages innerhalb dieser großen Gesellschaft da in München ein paar Menschenfreunde zu Wort melden würden. Wie die Dissidenten damals in der Sowjetunion. Es ist sicher ihnen allein zu verdanken, wenn jetzt erstmals öffentlich daran gedacht wird, den Geldstrom umzulenken. Das Ziel `Plagegeister´ auszutauschen gegen das der unfreiwilligen Zuhörer und endlich Gerechtigkeit herzustellen: Wer zuhören muss, obwohl er es nicht will, wird bezahlt, nicht wer singt, obwohl viele ihn nicht hören wollen. Vielleicht hat man bei der GEMA auch einfach keinen Nerv abzuwarten, bis die ersten Schadensersatzklagen wegen Nötigung öffentlichkeitswirksam die Gerichte beschäftigen. Aber ob jetzt aus Einsicht oder aus Schadensvermeidung: Das zu beobachtende Umdenken ist auf jeden Fall zu begrüßen.
ÄRZTIN: Ich bin sicher, dass die angedachten Neuregelungen positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben werden. Mit einer Vergütungsregelung unter umgekehrten Vorzeichen würde die Emittierung von Lärmprodukten für die Unterhaltungsindustrie wesentlich teurer, so dass sie sich sicher zweimal überlegen würde, wie häufig sie die Bevölkerung mit ihren Produkten `erfreuen´ will. Ich gehe für diesen Fall von einer deutlichen Reduktion der Belastung aus. Aber auch, wenn es so käme: Die Großen würden vermutlich zunächst überleben. Starke angelsächsische Typen wie Phil Collins oder Madonna würden sich wohl erst einmal weiterhin halten. Aber man könnte immerhin hoffen, dass die einheimischen Varianten wie Catterfield oder Sido zurückgedrängt würden oder wenigstens auf ihre natürliche Umgebung beschränkt blieben - schattige Hinterhöfe und Sozialquartiere - was natürlich ebenfalls nicht hinnehmbar wäre.
HISTORIKER: Die Geschichte wird letztendlich zeigen, welcher Entwurf in Sachen Lebensqualität sich jetzt zu Beginn des neuen Jahrtausends durchsetzen wird. Ob Menschen, die Ruhe zum neuen Luxus erhoben haben, mit ihrem Projekt zur Huldigung des Phänomens `Stille´ in einer von den staatlich gestützten Anmaßungen des Lärms geplagten Umwelt eine Chance haben gegen die Wir-lassen-überall-das-Radio-spielen-Welle und das Wenn-das-Gedudel-aussetzt-bekommen-wir-Angstzustände der Beschallungssüchtigen.
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INITIATIVE DUDELSTOPP
Insider-, konsumistische und historische Stellungnahmen
INSIDER: Jetzt scheint sich allerdings einiges zu ändern: Die Spatzen pfeifen´s in Berlin-Schöneberg und in München-Haidhausen von den Dächern, dass der Verbraucherschutzgedanke auch bei der altehrwürdigen GEMA angekommen zu sein scheint. Natürlich muss zunächst noch einigen Verbandsfunktionären mit Teufelsaustreibung gedroht werden. Und reichlich Lobbyisten mit der Steuerfahndung ... wie so oft, wenn der Vernunft zum Sieg verholfen werden soll. Es wird unschöne Szenen geben, wenn es erst einmal so weit ist mit der Neuregelung der Vergütung für den angerichteten Lärm. Mancher Zweitwagen und manche Zweitfrau müssen abgestoßen werden, wenn die Gewinnler die Bühne verlassen. Aber die Experten sind sich einig: Wenn danach die Karten neu gemischt werden, können die bis jetzt Gelackmeierten nur gewinnen.
KONSUMENTIN: Wenn es jetzt so kommt, dass für die Lärmbelästigung -die musikalische- bald
Geld gezahlt werden muss, dann heißt das auch, dass man die ganze Zeit doch nicht ganz falsch gelegen hat: Dass das Gefühl für Recht und Unrecht einen doch nicht getrogen hat und man durchaus zwischen gut und schlecht unterscheiden kann. Man galt ja gleich als angestaubt, wenn man sich nicht so richtig über das Gestammel und Gegreine aus den Lautsprechern freuen konnte. Wenn das jetzt hoffentlich bald wegfällt, wird man vielleicht mit dem einen oder anderen Kunden im Laden mal ein freundliches Wort wechseln können oder mit den armen Verkäufern. Ob die Geschäftsleiter Angst davor haben, dass man sich vielleicht lieber unterhält, statt einzukaufen ? Naja, und falls der Lärm dennoch weiterlaufen sollte, kann man sich von der fälligen Entschädigung, über die jetzt alle reden, immerhin ein paar Dosen Hundefutter mehr kaufen.
HISTORIKER: `Volle Dröhnung für freie Bürger´ oder `Weniger ist mehr für die Asketen unserer Tage´ ? Opium für´s Volk ? Musik für die Massen ? Dezibel für die Werktätigen ? Die Diktatur der satten Bässe und der extatischen Höhen ? Wer will sich denn hier davonstehlen aus der kollektiven sleazy-listening-Orgie ? Sie etwa ? Na hören Sie mal !
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INITIATIVE 'GEWALT GEHT IMMER'
Sozialarbeiterische und juristische Stellungnahmen
SOZIALARBEITERIN: Also ich wundere mich nicht über anhaltende Probleme mit Kriminalität und zunehmender Brutalität. Nicht solange es weiterhin auf allen Ebenen an der Einsicht mangelt, dass wir in Sachen `Prävention´ unser Sozialbetreuungssystem konsequent weiter ausbauen müssen. Wir hinken im Vergleich zu Wolkenkuckucksheim schon seit Jahrzehnten hinterher. Selbst aus dem nicht gerade für kommunistische Umtriebe bekannten Hamburger Institut für Volkswirtschaft kommt die Forderung nach deutlich mehr SozialarbeiterInnen für unsere Städte. Wir sind leider noch meilenweit von einer Quote `Zwei Pädagogen auf einen Problemfall´ entfernt. Von einem optimalen Niveau `eins zu eins´ ganz zu schweigen. Man kommt sich beinahe vor wie in einem Entwicklungsland.
RICHTER: Häufig sind in den Medien Großaufnahmen der Angehörigen von Opfern brutaler Gewaltverbrechen zu sehen. Meist mit fassungslosem Gesichtsausdruck – nach angeblich viel zu niedrigen Urteilen. Beispielsweise drei Jahre auf Bewährung für Mord, den wir ja eigentlich lieber Totschlag nennen. So entsteht leider der Eindruck, übertrieben milde urteilende Richter würden sich an der Ohnmacht der Betroffenen weiden. Manche Psychologen sprechen sogar von einer unbewussten Komplizenschaft durch die Richter, die sich lieber mit den Tätern als mit den Opfern solidarisieren. Die Juristen würden mit ihrer für Außenstehende schwer nachvollziehbaren aggressiven Milde gegenüber Verbrechern der eigentlichen Tat ganz offiziell noch eins draufsetzen und sich vorkommen. Das ist natürlich totaler Unsinn.
REFERENTIN: Der zu beobachtende neue Trend, vermehrt Opfer von Gewaltkriminalität in den Medien -auch in unseren eigenen öffentlich-rechtlichen- zu thematisieren, wird bei uns im Justizministerium zunehmend mit Sorge beobachtet. Unerfreuliche Vorgänge in der Gesellschaft werden damit auf eine emotionale Ebene befördert, die nicht objektiv sein kann.
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INITIATIVE 'GEWALT GEHT IMMER'
Kriminelle, soziologische und juristische Stellungnahmen
KRIMINELLER: Ich hatte keine schwere Kindheit. Kann ich nicht behaupten. Sicher nicht schwerer als die von anderen Leuten. Und ich gehöre wohl auch zu den ganz wenigen Menschen in Deutschland, die als Kind nicht von ihrem Vater oder Stiefvater missbraucht worden sind. Aber wenn mir jede Menge Staatsdiener und Studierte so´n Stuss einreden wollen – bin ich dann verpflichtet, das richtig zu stellen ? Soll ich mit übertriebener Ehrlichkeit meine Bewährung auf´s Spiel setzen ? Bisschen viel verlangt. Diese „Experten“ freuen sich total, wenn man ihnen erzählt, was sie hören wollen: Staatsanwälte, Seelendoktoren, Sozialklempner ... also tue ich ihnen den Gefallen und spiele mit. An der Wahrheit sind die nicht wirklich interessiert. Ich weiss nur, dass die uns dringend brauchen, sonst hätten sie ja nichts mehr zu tun.
SOZIOLOGE: Täuschen wir uns nicht: Kriminelle Gewalttäter sind nach wie vor strukturell bedingt ganz überwiegend Männer. Und zwar solche, die sich den staatlichen Gleichstellungs- und Gender-Mainstreaming-Vorgaben entziehen. Trotz einseitiger und verantwortungsloser Hass- und Hetzpropaganda aus dem Internet, das leider teilweise die Kooperation mit der Politik verweigert, lässt sich die Verwaltung dennoch nicht vom rechten Weg notwendiger Maßnahmen abbringen. Mit `Totalitarismus´ hat das trotzdem nichts zu tun: Spätestens wenn wir die beiden Geschlechter vereinheitlicht haben – mit klarem Akzent auf positiven weiblichen Eigenschaften – wird überdeutlich werden, dass sich vor den von Brüssel und Berlin geförderten `neuen Menschen´ keiner zu fürchten braucht. Denn dann wird niemand mehr aus der Rolle fallen.
REFERENTIN: Die Gründe, warum Menschen zu Gewalttätern werden, sind äußerst komplex und noch längst nicht genug erforscht. In den allermeisten Fällen werden sie in die Täterrolle gedrängt, das bestätigen Psychologen, Soziologen und Kriminologen. Wir arbeiten intensiv an Lösungen und können für die Zwischenzeit von unserer Seite den Verbrechensopfern, die es natürlich auch gibt, das bestreiten wir gar nicht, den weißen Ring empfehlen.
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INITIATIVE WAHLABSAGE (mit Satire gegen Wahlverdruss)
Skeptische, reuige und alternative Stellungnahmen
SKEPTIKER: Die allermeisten Wahlberechtigten machen in regelmäßigen Abständen von ihrem Stimmrecht Gebrauch - Naja ... und wenn die allermeisten von der Brücke springen ? Muss ich dann vielleicht hinterher ? Nein, dabei kommt keine Freude auf, wenn man nicht wirklich hinter der Sache steht. Man drückt durch dieses Kreuz, zu dem man sich auf dem Wahlschein durchringt, schließlich genau das aus, was man nicht ausdrücken will: Zustimmung. Was die deutschen Führungsschichten überhaupt nicht drauf haben, ist die Kunst des sauberen Abgangs. Lieber überschütten sie uns mit teuren Wahlgeschenken auf Kosten späterer Generationen. Hätten Sie sich als Kind über die Eisenbahn von Tante Elfie zu Weihnachten gefreut, wenn Sie gewusst hätten, dass Tante Elfie dafür am Essen sparen musste ?
REUMÜTIGE: Ich hatte alle vier Jahre wiederkehrende Phasen mit üblen Schlafstörungen. Unruhig schläft man ja meistens, wenn einem sein Unbewusstes irgendetwas mitteilen will. Es beschränkte sich aber nicht nur auf die Nachtruhe. Mir fiel außerdem auf, dass ich nur mit Widerwillen in den Spiegel geschaut habe, ohne dass es dafür einen vernünftigen Grund gab. Hatte ich irgendetwas Schlimmes getan ? Und dann kam ich endlich dahinter, weshalb ich mich so schlecht und -ja, schuldig- fühlte: Ich war stur alle vier Jahre wählen gegangen. Obwohl ich intuitiv eigentlich wusste, dass ich damit die ganz falschen Kräfte in diesem Land gestärkt habe. Aber ich kann Ihnen sagen: Von diesem Trip bin ich endgültig runter. Außer auf dem Lottoschein mache ich künftig nirgends wo mehr Kreuze und schlafe wieder durch.
ALTERNATIVER: Wir gründen gerade 'ne anarchistische Anti-Partei, ich und ein paar Kumpels. Sind auch Frauen dabei. Für Protestwähler ... und für unsere Haushaltskasse, da bin ich ganz radikal ehrlich. Harz IV reicht nämlich hinten und vorne nicht. Fallt bloß nicht auf die anderen Spaßparteien rein: die Pogos, die Titanics oder die Schlingensiefs. Den finden alle zwar knuffig, aber mit seiner Chance 2000 hat er vielen Leuten falsche Hoffnungen gemacht. Unter uns: Wenn Ihr wirklich was ändern wollt, verzichtet lieber ganz aufs Wählen. Lasst Euch nicht von basisdemokratischen Spinnern mit runden Tischen oder Graswurzelbewegungen einlullen. Die sind inzwischen so was von abgefrühstückt ! Wenn Ihr Euch den Gang zur Urne schon nicht verkneifen könnt, dann wählt lieber uns Antis. Die Bewegung dankt !
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INITIATIVE WAHLABSAGE
Zynische, feministische und neoliberale Stellungnahmen
ZYNIKERIN: Ich muss mich gerade sehr beherrschen, denn diese Nichtwähler-Förderung ist ja wohl das Allerletzte in meinen Augen ! Leute, die Parlamentariern die Unterstützung entziehen wollen ... Die mögen sicher auch keine Geländewagen oder Rap. Hierzulande darf doch wirklich jeder Querulant eine eigene politische Vereinigung gründen. Warum also feiger Wahlboykott ?
Diese Systemkritiker wollen also partout den Lobbyisten und ihren Regierenden das Leben schwer machen. Na gut, dann sollten sie uns vielleicht lieber einfach mit einer Partei gegen Arschlöcher überraschen ! Das wäre witzig und nicht wirklich eine Gefahr für die Demokratie. Denn ich wette, von -na sagen wir mal- Mercedesfahrern oder Kampfhundehaltern würden die nicht eine Stimme bekommen.
FEMINIST: Ich denke, wenn Leute ihren eigenen Weg gehen wollen, wenn sie `frei´ sein wollen, ist das sehr egoistisch. Was ist denn bitte mit denen, die das nicht können oder wollen ? Soll man die vielleicht sich selbst überlassen ? Ich finde das verantwortungslos und man sollte es einfach nicht erlauben. Naja, tut man bei uns ja zum Glück auch nicht. Von alleine sind Menschen nun mal nicht solidarisch. Wer sonst soll uns denn alle vor weißen, heterosexuellen Männern beschützen, wenn nicht ein starker Staat ? Der ist doch allemal der Führung eines starken Mannes vorzuziehen. Ich lasse mich sowieso viel lieber von Frauen regieren, da breche ich mir keinen Zacken aus der Krone. Die machen das schon von Natur aus viel menschlicher. Für mich ist gute linke Politik ganz klar weiblich.
GESCHÄFTSFRAU: Es ist doch einfach wunderbar, sich schöne Dinge leisten zu können. Wer das nicht zugeben will, ist in meinen Augen ein Heuchler. Das Streben nach Besitz verbindet die Menschen schließlich miteinander. Oder sollen wir uns etwa wieder zurückentwickeln, in Großfamilien leben und freiwillig auf Einkommen verzichten ? Dann bleibt für diejenigen ohne Karriere ja gar nichts zu tun übrig. Wenn es der Wirtschaft nicht gut geht, ist das schlecht für alle, auch für uns Arbeitnehmerinnen. Deshalb sollten wir mehr Opfer bringen für´s Gemeinwohl: Mehr Flexibilität, weniger Selbstverwirklichung. Nur weil die Lobbyisten in Brüssel und Berlin das genauso sehen, ist es ja deswegen nicht falsch. Trotzdem sollten freie Märkte idealerweise natürlich den Menschen dienen und nicht umgekehrt.
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INITIATIVE WIR SIND WICHTIG (zum 'Berliner Mehrwert')
Hedonistische, sozialpädagogische und tierfreundliche Stellungnahmen
PARTYBOY: Es ist ja kein Geheimnis, dass man im Süden der Republik eher reich und weniger sexy ist. Wir Berliner pöbeln einfach los, wenn uns das Geld nicht reicht. Damit ist sind wir immer gut gefahren. Wir verkriechen sich nicht verschämt in die Ecke, das entspricht einfach nicht unserer Art. Und Dank unserer Kodderschnauze wissen alle bis nach Bayern runter, woran sie sind und können aushelfen. Wenn fiese Journalisten unsere Szenepartygänger runtermachen als 'Verhärmte Großstadt-Amazonen, tumbe Stiernacken mit Glatze, graue Mäuse und halbe Portionen' dann spricht daraus einerseits sicher Futterneid. Es zeigt aber andererseits auch, dass unser Senat immer noch nicht genug ausgibt für Aufklärungskampagnen über freie und öffentliche Sexualität. Dafür brauchen wir dringend mehr Geld.
SOZIALPÄDAGOGE: Jedes Jahr verlassen zigtausend junge Fachkräfte Deutschland, weil sie hier keine 'Zukunft' für sich sehen. Die können sich gerne verziehen mit ihrem wertvollen Expertenwissen ! Wir Überlebenskünstler bleiben der Hauptstadt treu. Hier sind unsere Ausbildungen in Sozial- und Verwaltungswissenschaften gefragt - und die stehen ethisch und moralisch sowieso viel höher als IT- oder Ingenieurs-Knowhow. In der Berlin ist man zum Glück überhaupt nicht elitär drauf und das ist auch gut so. Es wird hier nicht gerne gesehen, wenn sich manche mit unsozialem Verhalten oder Talent Vorteile im Leben verschaffen wollen. Dass sich bei uns immer mehr Privatschulen breitmachen, bei denen es um Auslese und Leistung geht, dagegen legen wir uns mächtig ins Zeug. Das sollte stärker gefördert und honoriert werden.
HUNDEHALTERIN: Die Stadt ist quasi ein riesiges Experimentierfeld für neue moderne Lebensstile, die von den Politikern vorgegeben werden und für die wir alle uns zur Verfügung stellen. Aber mal unter Großstädtern: Soziale Experimente können auch misslingen. Wir sind schließlich keine Laborratten, sondern Menschen aus Fleisch und Blut. Denn die Folgen tragen wir: Medikamente und Psychiater, das kostet alles Geld. Wenigstens das sollte man uns stellen.
In vielen Dingen ist man an der Spree schon weiter. Mensch und Tier leben hier zum Beispiel viel enger und inniger zusammen als selbst auf dem Land. Wenn deutsche Hunde und Katzen die freie Wahl hätten: Die würden nach Berlin ziehen und ich finde, das sagt einiges über die Lebensqualität dieser Stadt aus: Die ist längst auf den Hund gekommen und ich meine das im positiven Sinne.
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INITIATIVE WIR SIND WICHTIG
Journalistische und karrieristische Stellungnahmen
JOURNALIST: Ich habe mich gerade beim Fernsehen beworben, denn ich bin Journalist und muss an meine Zukunft denken. Als Zusatzqualifikation kann ich anführen, dass ich gerade ein Jahr auf Voluntariat in Russland war. Wie die Obrigkeit sich fürsorglich um ihre Bürger kümmert, weiß man dort sehr genau. Ich habe da einiges lernen können. Und inzwischen machen mich abweichende, schädliche Meinungen richtig krank. Dann gibt es natürlich noch Angst als ganz wichtigen Gegenstand für die Arbeit bei den Medien. Dafür habe ich zum Glück ebenfalls ein gutes Gespür, denn die nächste Coronagrippe kommt bestimmt und falls nicht, werden gute Redakteure gebraucht, die Ersatz finden. Zulässige Alternativen sind Armut - ganz groß im Kommen - Alter, Kriminalität. Gegen die helfen natürlich nur die Experten vom Staat. Und der wird hoffentlich auch demnächst für meine Bezahlung sorgen.
KARRIEREFRAU: Niemand mit einem lebendigen Innenleben ist wirklich einsam zu nennen. Was sind schon Freunde gegen ein gutes Buch, in dem man abends gemütlich auf dem Sofa liest ? Was ist ein Liebhaber oder Ehemann gegen die einzigartige musik von Bach auf einer unvergänglichen CD oder die perfekt inszenierte Traumwelt auf einer romantischen DVD ? Was sind schreiende und plärrende Kinder gegen einen ergebenen Vierbeiner an deiner Seite. Was das eine gegen das andere ist ? Ja genau. Also, ich komme immer mehr zu dem Schluss: eine ganze Menge. Wenn ich tauschen könnte, würde ich nicht zögern. Ich würde gerne anders leben inzwischen. Du kannst nicht mehr tauschen, du hast schon vor Jahren die Weichen für ein modernes Single-Dasein gestellt. Alle - ohne Ausnahme - haben mir zu einer erfolgreichen Karriere geraten: Starke Frauen, moderne Männer, Wirtschaftsfunktionäre Politikerinnen - alle wollen Sie mein Bestes, das perfekte Leben. Schade nur, dass es niemand mit mir teilt.
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Aktivisten des Tacheles mit Hunderten Unterschriftenlisten vorm Brandenburger Tor 2011
In der Zentrale der staatsnahen Stiftung 'moderne21' geht es hoch her: Um die nur an einen einzigen Bewerber
zu vergebenen Fördergelder konkurrieren gleich vier Vereine, die jeweils einen Vertreter vorbeigeschickt haben.Die Kuratoren sehen sich vor eine schwere Wahl gestellt, denn die um die kräftige Finanzspritze streitendenDamen und Herren gehen alles andere als zimperlich miteinander um.
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KURATORIN der Stiftung moderne21
Sonja Schmidt-Peters
Sonja Schmidt-Peters von der Stiftung `moderne21´ hat eine schwierige Wahl zwischen den Berwerbern und ihrem jeweiligen Anliegen zu treffen. Um eine Entscheidung zu fällen, erhalten alle vier ausreichend Zeit, die eigene Initiative sachlich aber auch garniert mit der einen oder anderen Anekdote zu präsentieren und sich von den Mitbewerbern abzugrenzen.
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KURATOR der Stiftung moderne21
Lars Wessel
Die Aufgabe von Lars Wessel, der `rechten Hand´ von Kuratorin Schmidt-Peters ist es, die Bewerberinnen und Bewerber um die Stiftungsgelder zu ermutigen, die Unterschiede zwischen den jeweiligen Initiativen, möglichst deutlich herauszustellen. Mit schönen Worten und gutem Zureden ist es hierbei nicht immer allein getan.
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BEWERBERIN für Wahlabsage
Aleyna Goekdal
Aleyna Gökdal vertritt die Initiative `Wahlabsage - Mehr Demokratie, weniger Politik´ aus ureigenster Überzeugung. Litt sie doch als Jugendliche mit Migrationshintergrund ganz besonders unter dem deutschen Schulsystem, für das Gerechtigkeit und Gleichheit nach wie vor Fremdworte sind. Nur die Politik kann hier ihrer Ansicht nach für Fortschritt sorgen.
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Es sei eine arrogante Umkehr der Verhältnisse, aber diese sei typisch für die 'neuen Hochmütigen' (DER SPIEGEL 38|2013)
"DER SPIEGEL hält in seiner Titelstory eine Hörspielfigur für real" (Markus Kompa in TELEPOLIS)
Ebenfalls über den Realitätsverlust des SPIEGELS in Bezug auf ein Hörspiel schreiben SPIEGELBLOG sowie SPIEGELKRITK
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BEWERBER für Dudelstopp
Hardy Klaschka
Der Initiative `Dudelstopp – wollen wir Friedhofsruhe ?´ möchte der ehemalige Musiker Hardy Klaschka Fördergelder sichern. Die Bewegung will der mit dem demographischen Wandel aufziehenden Friedhofsruhe mit einem beherzten Beschallungsprogramm entgegenwirken. So etwas kostet natürlich Geld, denn selbst Konservenmusik ist nicht umsonst.
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BEWERBERIN für Wir sind wichtig
Manuela Holpert-Mang
Manuela Holpert-Mang ist der Überzeugung, dass das Stiftungsgeld bei der Initiative `Wir sind wichtig – der Wirtschaft zuliebe´ am besten angelegt wäre. Unterstützt die Gruppe doch seit Jahren moralisch jene Menschen, denen die vollständige Ausrichtung ihres Lebens nach den Bedürfnissen der Ökonomie zunehmend Probleme bereitet.
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BEWERBER für Gewalt geht immer
Albrecht Opaschowsky
Die Initiative `Gewalt geht immer – violare humanum est´ schließlich wäre für Albrecht Opaschowsky der geeignetste Nutznießer der Förderung. Die Organisation räumt nach eigenen Angaben mit rosaroten Illusionen bei der Kriminalpolitik auf und hilft so den Bürgern, die Gefahren des Alltags realistischer einzuschätzen und sich selbst zu schützen.
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FÖRDERUNG
Staatsnah (geht die Moderne stiften)
Die staatsnahe Stiftung moderne21 fördert jährlich eine zivilgesellschaftliche Initiative mit einer hohen Summe. Dieses Mal gibt es gleich vier Bewerber, die die Stiftungskuratoren vor eine schwere Wahl stellen: Um die Finanzspritze konkurrieren persönliche Vertreter der Initiativen `Dudelstopp´, `Gewalt-geht-immer´, `Wir-sind-wichtig´ und `Wahlabsage´. Wer streitet vor den Kuratoren am gewieftesten für seine Initiative ?
Aleyna Gökdal vertritt die Initiative `Wahlabsage - Mehr Demokratie, weniger Politik´. Und das aus ureigenster Überzeugung. Litt sie doch als Jugendliche mit Migrationshintergrund ganz besonders unter dem deutschen Schulsystem, für das Gerechtigkeit und Gleichheit nach wie vor Fremdworte sind. Nur die Politik kann hier ihrer Ansicht nach für Fortschritt sorgen.
Die Initiative `Gewalt geht immer – violare humanum est´ wäre hingegen für Albrecht Opaschowsky die geeignetste Empfängerin der Förderung. Die Organisation räumt nach eigenen Angaben mit rosaroten Illusionen bei der Kriminalpolitik auf und hilft so den Bürgern, die Gefahren des Alltags realistischer einzuschätzen und sich selbst zu schützen.
Manuela Holpert-Mang ist der Überzeugung, dass das Stiftungsgeld bei der Initiative `Wir sind wichtig – der Wirtschaft zuliebe´ am besten angelegt wären. Unterstützt die Gruppe doch seit Jahren moralisch jene Menschen, denen die vollständige Ausrichtung ihres Lebens nach den Bedürfnissen der Ökonomie zunehmend Probleme bereitet.
Der Initiative `Dudelstopp – wollen wir Friedhofsruhe ?´ möchte schließlich der ehemalige Musiker Thomas Klaschka die Förderung sichern. Die Bewegung will der mit dem demographischen Wandel aufziehenden Friedhofsruhe mit einem beherzten Beschallungsprogramm entgegenwirken. So etwas kostet natürlich Geld, denn selbst Konservenmusik ist nicht umsonst.
Damit die Kuratoren Schmidt-Peters und Wessel eine Entscheidung fällen können, erhalten alle vier Bewerber ausreichend Zeit, die eigene Initiative sachlich aber auch garniert mit der einen oder anderen Anekdote zu präsentieren und sich von den Mitbewerbern abzugrenzen.
Zum Schluss, so wäre eigentlich zu erwarten, wird es einen ehrlichen Gewinner geben. Aber entgegen aller Routine ist Betrug im Spiel und es läuft doch nicht alles glatt.
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TONDOKUMENT
Ist das bundesdeutsche Stiftungswesen zu staatsnah ?
Stiftungen haben im allgemeinen Verständnis meistens etwas zu vergeben, deshalb haben sie ein eher positives Image in der Öffentlichkeit. Es verwundert daher nicht, wenn sie hin und wieder auch zum Gegenstand von Kritik durch Neider und Nörgler werden. Nun hat die Kritik jedoch neue Nahrung erhalten.
In der Öffentlichkeit kursiert seit kurzem ein Tondokument, das während der Entscheidungsfindung für die Vergabe von Fördergeldern durch die satirische Stiftung `moderne21´ entstand. Es lief offenbar ein verstecktes Aufzeichnungsgerät mit als die Bewerber von vier zivilgesellschaftlichen Initiativen in der Hamburger Residenz der Stiftung `moderne21´ um die jährlich gezahlte Finanzspritze miteinander konkurrierten.
Die Tonqualität ist überraschenderweise ganz hervorragend. Der Aufnahme ist kaum anzumerken, dass sie mit verstecktem Mikrofon vorgenommen wurde. Das Ganze hört sich viel eher an, wie ein professioniell produziertes Hörspiel, was der Authentizität des Inhalts selbstverständlich keinen Abbruch tun muss.
Ob man nun mit einer Doku zu tun hat oder mit einem raffinierten Fake, ob das alles Politik ist oder noch Satire oder ob die staatstragende Satire bereits zu Politik geworden ist, das ist heutzutage nur schwer auseinanderzuhalten. Die beiden Kuratoren der erklärtermaßen staatsnahen Stiftung `moderne21´, Frau Schmidt-Peters und Herr Wessel, schlagen sich jedenfalls wacker in dem Bemühen, den geeignetsten Kandidaten für die Fördergelder herauszufiltern.
Nach dem Abhören des Tondokuments drängt sich manchem Zuhörer jedoch der Eindruck auf, dass Stiftungen möglichst politikkonform und somit staatsnah agieren müssen, um in der Mediengesellschaft bestehen zu können. Zu fragen wäre, ob es sich hierbei um ein notwendiges Übel handelte oder um ein zunehmend kritisch zu bewertendes Phänomen, gegen das anzugehen sei.
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BEWERBER OPASCHOWSKY
Duisburg im Zentrum der Gewalt
Bewerber für die Initiative `Gewalt geht immer - violare humanum est´ ist Albrecht Opaschowsky aus Duisburg. Bei dieser Kombination ist man schnell versucht, einen bekannten Fernsehkommissar aus den Achtzigern mit ihm zu assoziieren, aber damit liegt man vollständig falsch: Opaschowsky ist kein telegener schnurrbärtiger Haudrauf-Typ, sondern ein nüchterner Interessenvertreter von Gewalttätern und Gewaltopfern. Zwischen ihnen will seine zivilgesellschaftliche Initiative einen fairen Ausgleich schaffen helfen. Offenbar ist sie dabei seit einigen Jahren auf einem guten Weg.
Opaschowsky vertritt die Ansicht, dass `eine Mehrzahl von gefährlichen Schlägern sich bei genauerem Hinsehen lediglich als etwas zu groß geratene Jungs entpuppt´ und kritisiert, dass gerade jungen Tätern ein förmliches Strafverfahren oft mehr schadet als nutzt. Ebenso beklagt er den leider recht hartnäckigen Trend, dass immer mehr Bürger das bewährte täterorientierte Rechtssystem offenbar nicht mehr ausreichend zu schätzen wissen und Veränderungen anmahnen.
Bei einem delikaten Thema, wie der Gewaltkriminalität, stellt sich natürlich die Frage, ob jemand wie Albrecht Opaschowsky eventuell selber einen persönlichen Bezug zu der Initiative hat, die er vertritt. Wurde er als Kind vermöbelt ? War sein Vater Tischler ? Hat er selber geprügelt ? Diese Fragen verneint er allesamt, beziehungsweise relativiert: `Ich hab mich nicht mehr gekloppt als andere gesunde Jungs in Duisburg.´ Herr Opaschowsky hat sich weder als Gewalttäter noch als Gewaltopfer profiliert. Wobei festgehalten werden sollte, dass der Sprecher der Initiative `Gewalt-geht-immer´ ebenso gut in jeder anderen Stadt neben Duisburg beheimatet sein könnte. Duisburg ist keinesfalls das Zentrum der Gewaltkriminalität in der Bundesrepublik und strebt diesen Status auch nicht an.
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POSITIVE DISKRIMINIERUNG
Immer feste auf auf die Schnauze
Albrecht Opaschowsky boxt im Rahmen von Anti-Aggressions-Trainings seit langem mit jungen Straf- und Intensivtätern. Er und andere helfen den jungen Männern, ihre Techniken zu verfeinern. Diese dürfen sie dann selbstverständlich im wirklichen Leben nicht anwenden. Das tun sie idealerweise später auch nicht. Dennoch: Mit etwas anderem als Gewalt kann man realistischerweise junge Menschen, die nichts anderes kennen als Gewalt, auch nicht erreichen. Im Gegenteil: Mit weltfremden Anschauungsunterricht über Frieden und Nächstenliebe würde man die nur noch zusätzlich durch einen Kulturschock traumatisieren. Die Bergpredigt versteht nun einmal nicht jeder.
Die aktuelle gesellschaftliche Gewaltproblematik wird von Albrecht Opaschowsky folgendermaßen beschrieben: `Sie haben heute vielfach Männer mit viel Testosteron und wenig Teamfähigkeit, denen im Beruf bei der Beförderung vielleicht eine konsensorientierte junge Frau vorgezogen wird - aus guten Gründen, natürlich. Und die dann mit guter Miene unter ihr arbeiten müssen.´ Hier könnte man einwerfen, dass wirklich moderne Männer zum Glück schon von sich aus einsehen, dass Frauen aufgrund der jahrtausendealten Benachteiligung moralisch heute eine positive Diskriminierung am Arbeitsmarkt zusteht - quasi als Ausgleich oder einfach als `Dankeschön´.
Opaschowsky plädiert dafür, sich dennoch nichts vorzumachen: In beinahe jedem anderen relevanten Kulturkreis außer dem westlichen, würden Männer eine solche Behandlung als ungeheure Demütigung erleben oder zumindest als `sehr schlechten Witz´. Diese Einschätzung wirft möglicherweise auch ein Licht auf den Vertreter der Initiative `Gewalt geht immer´ als Privatmann, der Gewalt als männliche Eigenschaft eigentlich ganz in Ordnung findet und lediglich nur gegen ungesühnte Gewalt agitiert, die gegen vorzivile krude Spielregeln verstößt. O-Ton `Opaschowsky´: `Immer feste auf auf die Schnauze ... mit voller Wucht - aber fair ! Bis einer auf dem Boden liegt und völlig ausgepowert ist. Aber eben sportlich, mit klaren, bewährten Regeln. Mann gegen Mann. Täter gegen Täter, wenn sie so wollen. (...) Frauen kämpfen anders. Die haben die Quoten. Und die Politik. |
UNBEHAGEN
Zynismus und Sarkasmus
Es gibt Gewaltverbrechen, bei denen Menschen schweren Schaden nehmen – dies wird von der Initiative `Gewalt geht immer´ nicht bestritten. Die Öffentlichkeit reagiert jedoch mit wachsendem Unmut auf den in ihren Augen paradoxen Umgang mit gefährlichen Straftätern. Dies ist ein relativ neues Phänomen.
Nun muss `neu´ tatsächlich nicht automatisch falsch sein. Aber dennoch ist eine Gesellschaft ohne Kriminalität kaum denkbar und genau genommen auch nicht wünschenswert, wenn man keinen Orwellschen Überwachungsstaat haben will. Zwar muss `beschützen´ muss nicht immer auch automatisch `überwachen´ heißen. Aus Sicht der Initiative `Gewalt geht immer´ ist der Umgang mit Gewaltkriminalität durch Polizei, Justiz und Politik vorbildlich und deshalb sollte er von den Bürgern mit Vertrauen belohnt werden. Trotzdem bleibt Gewalt ein natürlicher Teil der sozialen Ordnung, mit dem wir leben müssen. Eine mögliche Teillösung für das Gewaltproblem wäre zum Beispiel, wenn verantwortungsbewusste Frauen und Männer sich bemühten, aggressive Menschen nicht unnötig zu provozieren – weder durch vermeintlich mutiges, noch durch übertrieben couragiertes Verhalten.
Wem das zu zynisch klingen mag, der sei darauf hingewiesen, dass der Kriminalpolitik an anderer Stelle hin und wieder durchaus gerne unterstellt wird, durch Bagatellisierung von Gewaltverbrechen oder durch überzogenen Täterschutz die Bevölkerung absichtlich zu verängstigen. Und dies deshalb, damit diese eine Vergrößerung des Staatsapparates akzeptiert in der Hoffnung auf mehr Sicherheit für Leib und Leben - Das ist Zynismus. Die Feststellung, eine solche Strategie würde den Interessen der Bürger entgegenlaufen, daher sei diese Unterstellung abwegig ist hingegen Sarkasmus.
Als Fazit sollten moderne Menschen sich mit den leider alltäglich gewordenen Gewaltdelikten abfinden und arrangieren - mögen die im einzelnen auch noch so unangenehm erscheinen. Die Initiative `Gewalt-geht-immer´ leistet hierzu einen Beitrag. Und zwar indem sie übertriebene Erwartungen zum Thema `Kriminalitätsbekämpfung´ mit dem notwendigen politischen Realismus konfrontiert und so unvermeidlichen Enttäuschungen vorbeugt.
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BEWERBERIN GÖKDAL
Mehr als `Sonne, Mond und Sterne´
Bewerberin für die Initiative `Wahlabsage - Mehr Demokratie, weniger Politik´ ist Aleyna Gökdal. Im Personality-Abschnitt des Bewerbungsgesprächs mit den Stiftungsmitgliedern verrät sie, dass sie in Ankara in den 60er Jahren geboren wurde, was eine türkische Abstammung nahelegt.
Die Türkei ist, das wissen nicht nur Anhänger der GRÜNEN, mit `Sonne, Mond und Sterne´ noch nicht umfassend beschrieben - hierauf geht Gögdal jedoch nicht weiter ein, was sich möglicherweise noch als recht geschickt herausstellen könnte. Als sie sechs war, holte ihr Vater ihre Mutter, die kleine Aleyna und ihre Schwester nach Köln-Nippes nach. Gökdal legt wert auf die Feststellung, lediglich eine Schwester und keinen Bruder zu haben.
Während ihrer Kindheit ist sie mit ihrer Familie oft in die Türkei gefahren, das `schönste Land überhaupt´. Ihren späteren Ehemann hat sie dort allerdings nicht kennengelernt und auch politisch haben sie ihre Türkeibesuche nicht über die Maßen geprägt. Ihre politische Initialzündung hatte sie erst Jahre später auf ihrem Gymnasium in Nippes. Ungefähr ab der 10. Klasse wurde unübersehbar, dass es eine kleine Gruppe von Mädchen gab, die hübscher waren als andere. Sie waren nicht etwa lediglich `besser gekleidet´, sondern tatsächlich `von Natur aus´ schöner. Das fand die junge Aleyna nicht in Ordnung, unfair und einer modernen Gesellschaft unwürdig.
Sie schloss sich daher aus diesem und aus anderen Gründen politischen Parteien an, die sich Gerechtigkeit, also die Aufhebung von Unterschieden, auf die Fahnen geschrieben haben. Dies tat sie in der klassischen Farbfolge `rot - grün - lila´, also mit zunehmender moralischer und politischer Glaubwürdigkeit und unterstützte so auf ihre Weise und aus ihrer ganz eigenen Motivation heraus den gesellschaftlichen Fortschritt in der Bundesrepublik.
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VIBRATIONEN
Die Schwingungen der Nichtwähler
Es ist
empfehlenswert, sich innerhalb seines engeren sozialen Umfeldes darüber
zu informieren, welcher Freund, welche Tante, welcher Kollege zur Gruppe
der Nichtwähler gezählt werden müssen. Man möchte ja schließlich auch
wissen, ob gute Bekannte bereits eine Drogenkarriere hinter sich haben
oder ob eine Kusine irgendwann einmal abgetrieben oder ein
Vorgesetzter einmal Fahrerflucht begangen hat. Will man mit solchen
Menschen zusammenarbeiten, ein Bier trinken gehen oder gar Sex haben ?
Das
jeweilige politische Partizipationsverhalten sollte relevant sein für
die Frage, wie nahe uns jemand steht oder stehen darf - wenn wir uns als
Demokratinnen und Demokraten ernst nehmen wollen. Im engeren sozialen
Umfeld besteht daher ein besonderes Interesse aus einer möglichen Nähe
der entsprechenden Personen zum Milieu der Nichtwähler. Selbst wenn dies
auf den ersten Blick nicht überlebenswichtig erscheint. Der Aspekt des
`Überlebens´ muss beim Nichtwählerphänomen dennoch eine Rolle spielen:
Es geht allem Anschein nach auch ums `Über´leben, um das Leben nach dem
Leben, das Leben nach dem Tod. Möglicherweise stimmt es also, dass
Wahlverweigerer einen Punktabzug für ihr nächstes Leben bekommen - auch
wenn man dies bisher nicht beweisen konnte.
Dennoch bleibt ein
unübersehbarer Wink auf die Belastungen für das Karma bewusster
Nichtwähler. Einige Leute streiten sich darüber, wirklich Konkretes ist
nicht bekannt, manche wollen darüber auch lieber nichts Genaueres
wissen. Es deckt sich zumindest nicht mit den Überzeugungen der
zivilgesellschaftlichen Initiative `Wahlabsage - mehr Politik, weniger
Demokratie´, die Nichtwähler wie Abweichler zu behandeln, sie zu
diskriminieren und mit Punktabzug zu bestrafen. Diskriminierung ist
nicht umsonst ein Verbrechen. Die passiven Wahlverweigerer sollen
stattdessen abgeholt und mitgenommen werden zur Wahlurne !
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STAATSQUOTE
Konsequente Courage auch im Steuerwesen
Die Initiative `Wahlabsage - Mehr Demokratie, weniger Politik´ kündigte an, in absehbarer Zeit eine sogenannte politische `Goodwill-Kampagne´ für mehr Steuergerechtigkeit sowie ein höheres Steueraufkommen auf den Weg zu bringen.
Dem Vernehmen nach geht es der zivilgesellschaftlichen Gruppierung um Nachhaltigkeit für die Basis allen politischen und staatlichen Handelns. So wird die Aktivistin Aleyna Gökdal im Zuge einer Bewerbung um Stiftungsgelder mit den Worten zitiert "Wenn man Wert darauf legt, couragiert für die politische Durchgestaltung des Alltags einzutreten, dann sollte man sich konsequenterweise auch für mehr Steuergerechtigkeit und mehr Steueraufkommen, kurz: mehr Akzeptanz für das Steuerwesen einsetzen." Da es sich bei der erwähnten staatsnahen Stiftung um `moderne21´ handelt, kann Frau Gökdal von `Wahlabsage´ relativ sicher sein, dass ihrem berechtigten Anliegen mit Wohlwollen begegnet werden wird. Denn schließlich stärken Steuern im Idealfall nicht nur allgemein die Solidargemeinschaft, sondern sie stellen darüber hinaus ganz fundamental bildlich gesprochen das Futter für die Politik dar. Das Herunterfahren des Steueraufkommens käme daher einem Nahrungsentzug gleich. Und der bedeutete dann konkret - wiederum bildlich gesprochen - den Hungertod für Gerechtigkeit, Gleichstellung und Wohlsein. Dies kann und darf niemand wollen und eigentlich auch niemand anders sehen.
Über den Ausgang der Bewerbung um Stiftungsgelder durch Frau Gökdal bei `moderne21´ soll aus Rücksicht gegenüber den anderen Mitbewerberinnen und Mitbewerbern nicht weiter informiert werden. Es sei an dieser Stelle nur konstatiert, dass Frau Gökdal den Interessen ihrer Initiative `Wahlabsage - Mehr Demokratie, weniger Politik´ mit großem Geschick und einer gehörigen Portion Raffinesse Geltung verschaffte.
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BEWERBER HARDY KLASCHKA
Profilneurotiker und Sonderlinge
Ursprünglich startete die Initiative `Dudelstopp´, die bei der moderne21-Stiftung von Hardy Klaschka vertreten wird, tatsächlich als Initiative gegen unfreiwilligen Musikkonsum im öffentlichen Raum – also Musik in Wartezimmern, Kaufhäusern, Fahrstühlen, Warteschleifen etc. Dann jedoch wechselte man die Seiten, um den Dialog mit der Musikindustrie zu suchen und dann allmählich nicht mehrheitsfähige Standpunkte zu revidieren. Dazu steht man mittlerweile ganz offen bei der ehemaligen Graswurzelbewegung.
Die Initiative `Dudelstopp - Wollen wir Friedhofsruhe ?´ setzt sich heute kritisch mit der Frage auseinander, wie eine Welt aussehen würde, in der Musik nur noch im Einvernehmen aller Anwesenden gespielt werden dürfte. Eine Handvoll skurriler Bündnisse und Querulanten fordert seit einiger Zeit die Einschränkung oder sogar das Verbot kostenlos bereit gestellter Musik im öffentlichen Raum. Es sei daran erinnert: Vor einigen Jahren gehörte `Dudelstopp´ unter dem Slogan `Musik ohne Zwang´ auch noch dazu. Paradoxerweise hatten viele dieser Gruppen ihren Ursprung in Hamburg.
Entgegen der herrschenden Political Correctness ist man jedoch allmählich dazu übergegangen, die dahinterstehenden Personen klar und unmissverständlich zu benennen als Profilneurotiker und Sonderlinge, die fahrlässigerweise die sozialen und wirtschaftlichen Folgen ihres Tuns ausblenden. Darüber klärt das neue `Dudelstopp´ die Menschen auf. Und Aufklärung tut offenbar Not, werden Musikfreunde, die ihren Bedürfnissen obsessiv in der Öffentlichkeit nachgehen, doch häufig genug mit bösen Blicken und dahingenuschelten Anspielungen konfrontiert von Mitbürgern, die offenbar partout nicht in der Freizeitgesellschaft ankommen wollen. Es ist nicht zuletzt an der Initiative `Dudelstopp´ diesen Menschen die Hand zu reichen und sie mitzunehmen in die moderne Erlebnisgesellschaft.
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KONTROVERSE
Kein Spielen der `Familienkarte´
Am am Tonträgergewerbe und der Beschallungsindustrie hängen nach neuesten Schätzungen ungefähr 300.000 Arbeitsplätze. Dies ist gerade in der selbstverschuldeten aber nichtsdestotrotz sehr bedrohlichen Kapitalismuskrise, in der sich der Westen befindet, nicht zu vernachlässigen. Selbstverständlich kommt es in der Branche auch mal zu Fehlentwicklungen und negativen Auswüchsen. Diese werden sehr ernst genommen und einzudämmen versucht. Aber es wird natürlich immer ein paar überempfindliche Menschen geben, die sich gestört oder belästigt fühlen, Einzelgänger und Außenseiter. Man sollte sie nicht beschimpfen sondern muss vielmehr auf ihre Ängste und Neurosen eingehen.
Wissenschaftler vermuten tatsächlich, dass die schwindende Rücksichtnahme im täglichen sozialen Miteinander auf veränderte Familienstrukturen zurückzuführen ist: Es fehlen tatsächlich immer öfter Geschwister und Väter. Aber solche Aussagen sollte man bis zur Vorlage solider empirischer Studien zurückhalten. Die Gegner der neuen Initiative `Dudelstopp´ und ihrer Anliegen könnten sie publikumswirksam als Spekulation abtun. Die `Familienkarte´ zu spielen – dies sollte ohnehin das allerletzte Mittel in der Auseinandersetzung sein.
Viele moderne Singles sind bereits heute von der Tatsache betroffen, dass die Deutschen immer älter und damit natürlich auch einsamer werden, das bestreitet die Initiative `Dudelstopp - wollen wir Friedhofsruhe´ nicht. Ganz im Gegenteil: Dies sollte Motivation genug sein, gemeinsam mit der Musikindustrie gegen die aufziehende Friedhofsruhe anzugehen. Ein tatsächlicher 'Dudelstopp' würde dabei niemanden weiterbringen. `Dudelstopp´ sagt: `Pulsierende Lautsprecher bringen Leben in die vergreisende Gesellschaft´. Damit liegt sie richtig, denn totalitäre Ruhe steht für Einsamkeit und Tod, das sollte man gerade hierzulande eigentlich wissen.
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HISTORIE
Stilistische Entgleisungen
Herr Hardy Klaschka erzählt Menschen, die sich für die Initiative `Dudelstopp - Wollen wir Friedhofsruhe ?´ interessieren, gerne etwas aus seinem ganz persönlichen Werdegang. Denn es liegt nicht für jeden ohne weiteres auf der Hand, wie man im positiven Sinne ein Musiklobbyist und ein Schrecken für die Freunde der Stille wird.
Klaschka kommt aus Hamburg. Die Stadt war lange Zeit der Standort der Musikindustrie in Mitteleuropa. Das hat ihn vermutlich geprägt in seiner Bejahung musikalischen Kommerzes. Als 18jähriger spielte er sogar in einer Band mit – sie waren zu dritt und nannten sich `Abortive Gasp´. Ein Name, der den guten Geschmack auf den ersten Blick etwas hinter sich lässt. Jungen Männern in einem gewissen Alter sollte man gewisse stilistische Entgleisungen wohl tatsächlich nachsehen. Sie können mit zunehmender Reife dennoch zu Höchstleistungen auf den verschiedensten Gebieten fähig sein.
Wenn Klaschka an vergangene Zeiten denkt, kommt er auf interessante Hypothesen: `Viel von dem Ärger mit unfreiwillig konsumierter Musik hätten wir heute nicht, wenn die großen Musikindustrie-Nationen einfach 1978 ihre Produktion eingestellt hätten: Da hatte Jean Michel-Jarre sowohl `Oxygene´ als auch `Equinoxe´ vollendet und man hätte wunderbar sagen können: Das war´s jetzt – neben diesen in jeder Hinsicht perfekten Produktionen ist alles andere ein Fliegenschiss. Aber diesen Zeitpunkt hat man damals verpasst.´ Es ist tatsächlich nur schwer zu verstehen, warum die Plattenindustrie nach `Equinoxe´ die Neuproduktionen nicht eingestellt und sich einfach auf die Pflege ihres Repertoires konzentriert hat. Zum Beispiel mit Liebhaber-Editionen: Schallplatten-Sammelboxen würden einem hier in den Sinn kommen, gerade weil Hamburg für seine Vinylproduktion ja bekannt war. Man könnte meinen, die gierigen Musikmanager haben noch laufende Subventionen für die Kulturindustrie einstreichen wollen, obwohl der Höhepunkt längst hörbar überschritten war - ähnlich wie etwa bei der Steinkohle.
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VERSCHWÖRUNG
Allesamt Misanthropen
Nach Ansicht von Manuela Holpert-Mang und der Initiative `Wir sind wichtig - der Wirtschaft zuliebe´ mutiert das `Single´-Phänomen regelmäßig zu einem Schreckgespenst in unserer Mediengesellschaft. Dabei werde `Einsamkeit´ als intensives Lebensgefühl vollkommen unterschätzt. Man hebe viel zu wenig hervor, warum moderne Frauen und Männer sie auf sich nähmen: `Gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Fortschritt gibt es nun einmal nicht zum Nulltarif.´
Eine besonders perfide Unterstellung gegenüber Aktivisten, die sich der Sache des Fortschritts und der Gerechtigkeit verschrieben haben, ist, sie würden sich im mittleren Alter bewusst, ihr eigenes Leben vermurkst zu haben; Kompensieren würden sie dies damit, zusammen mit staatlichen Institutionen strukturell darauf hinzuwirken, dass möglichst viele andere Menschen ihrem Beispiel folgen: `Ich leide, also sollen andere auch leiden.´ Diese Unterstellung ist tatsächlich absurd, zielt sie doch darauf ab, dass staatliche Entscheidungsträger allesamt Misanthropen wären. Von solch kruden Thesen und Verschwörungstheorien ist es dann allerdings nicht mehr weit zu der Unterscheidung zwischen zwei Gruppen gesellschaftspolitischer Akteure: Die zuvor gerade beschriebene und die andere, die sich ebenfalls bewusst ist, ihr Leben ohne Familie und tieferen Sinn unwiderruflich vergeigt zu haben. Aber im Gegensatz zur ersten Gruppe, würden sie alles daran setzen, andere durch Information, Aufklärung und ebenfalls Veränderungen der Strukturen vor dem eigenen `Schicksal´ zu bewahren.
Es liegt auf der Hand, welche der beiden Gruppen politisch, medial und moralisch an den Pranger gestellt wird - die erste selbstverständlich. Auch wenn es sie gar nicht wirklich gibt, sondern sie lediglich als Konstrukt existiert. Als Konstrukt von Moralisten, von `Hass´-Moralisten.
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BEWERBERIN HOLPERT-MANG
Mit Mangas gegen die Zumutungen
Manuela Holpert-Mang ist in Hannover aufgewachsen und lebt dort immer noch. Eigentlich wollte sie Maschinenbau oder Elektrotechnik studieren – also möglichst etwas `Untypisches´. Aber dann ist sie doch bei den Sozialwissenschaften gelandet und hat dort ihren Abschluss gemacht. Danach hat sie lange beim NDR gearbeitet als Redakteurin. Verheiratet war sie nur kurz. Stattdessen hat sie zwei wunderbare Hunde aufgezogen – ohne Unterstützung im Großen und Ganzen, wie sie sagt. Heute streitet Frau Holpert-Mang bei der Stiftung `moderne21´ um dringend benötigte Fördergelder für die Initiative `Wir sind wichtig - der Wirtschaft zuliebe´.
Holpert-Mang kann vom Girlie-Look der Mangas einfach nicht lassen, den sie einfach `zu genial´ findet: `Das Make-up, die Farben, die Strähnchen. Ich mach ja nur den ganz soften Style. Schließlich bin ich auch schon ein bisschen aus dem Teenager-Alter raus. Hätte ich irgendwann mal eine Tochter gehabt, hätten wir sicher
viel Spaß mit den Mangas gehabt. Und uns gegenseitig geschminkt.´ So bleibt sie zumindest optisch selbst noch ein großes Girlie. Zum Glück ist heute modetechnisch alles erlaubt - Madonna hat´s vorgemacht. Ansonsten haben die Arbeitnehmer ja auch wirklich genug Entbehrungen zu bringen: Für die springt seit einiger Zeit ihre Initiative `Wir sind wichtig´ in die Bresche, denn immer mehr Menschen treten nun einmal wegen ihrer beruflichen Unentbehrlichkeit in ihrem Sozialleben kürzer. Sie bringen große Opfer für die Wirtschaft und damit das Gemeinwohl. Das hat de-facto häufig den Verzicht auf Familienleben und emotionale Stabilität zur Folge. Die Initiative 'Wir-sind-wichtig' zollt den betroffenen modernen Bürgern zusammen mit der Politik und der Wirtschaft deshalb größten Respekt und möchte sie in Zukunft mit Hilfe der m21-Fördergelder moralisch noch stärker unterstützen. Damit auch künftig alles so weiter laufen kann, wie es sich seit Jahrzehnten bewährt hat in der `Deutschland AG´.
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AUFKLÄRUNG
Hamburg statt Ost-Berlin
Frau Holpert-Mangs Initiative hat bereits einige Erfolge erzielt. Dabei kann sie allerdings auch auf positive Ergebnisse aus anderen Bereichen zurückgreifen: Die publizierte Meinung erweist sich seit vielen Jahren wenigstens hier als ausgesprochen verantwortungsbewusst.
Beispielsweise wird semantisch schon seit einiger Zeit nicht mehr vom Druck auf die Bürger gesprochen, arbeiten zu `müssen´ - sondern man stellt vielmehr die Errungenschaft in den Vordergrund, arbeiten zu `dürfen´. Gerade bei Frauen, bei denen es hierbei noch reichlich Nachholbedarf gab und gibt.
Die vielfältige mediale Reflektion des Phänomens `Armut´ spielt dabei eine Schlüsselrolle: Sie hilft anarchistischen Tendenzen vorzubeugen, nach denen Menschen Erwerbsarbeit als etwas Negatives ansehen. Beim Thema `Armut´ handelt es sich keineswegs um Angstmacherei, sondern um Aufklärung: sozialer Abstieg und Ausgrenzung stellen tatsächlich eine allgegenwärtige Gefahr dar und Geld macht eben doch glücklich. Und weniger Geld eben nicht. Oder eben entsprechend weniger.
Häufig hat ja schon der Nachbar mehr. Da ist es nur konsequent, wenn soziale Ungleichheit Dauerthema in den Medien ist: Heute sind die Alleinerziehenden von Armut bedroht, morgen die Rentner und übermorgen unausweichlich die Kinder. Hier haben Fernsehen und im Radio jede Menge zu aufzuklären, denn das Prekariat vergrößert sich permanent. Über Sendungen, die das thematisieren, wird in den Redaktionsstuben heute gar nicht erst lange diskutiert, sondern die werden gleich geschaltet. In Talkshows, Magazinen und Nachrichten. Hierbei spielt es kaum noch eine Rolle, woher die Nachrichten kommen und wer sie aufbereitet: Die `Aktuelle Kamera´ kam aus Ost-Berlin, die `Tagesschau´ kommt aus Hamburg. Das waren und sind zwei vollkommen unterschiedliche Städte - aber dies spielt heutzutage zum Glück kaum noch eine Rolle.
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GRUNDSÄTZE
Vergabe von Stiftungsgeldern auf dem Prüfstand
Die hauseigene Stiftung der Politik- und Kunstplattform `moderne21´ wählt jährlich in Hamburg aus mehreren sich bewerbenden zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Initiativen eine einzige aus, um sie finanziell zu fördern. An diesem Beispiel wird deutlich, was im gegenwärtigen Stiftungswesen in der Bundesrepublik falsch läuft: Wenn sich besonders ehrgeizige Bewerber gegen andere durchsetzen, besteht die Gefahr, dass das Leistungsprinzip den Gerechtigkeitsgedanken zu sehr in den Hintergrund drängt.
Man kann mit einigem Recht von einer gelungenen Demonstration gelebter Vielfalt im deutschen Stiftungswesen sprechen: Die türkischstämmige Polit-Aktivisten Aleyna Gökdal aus Köln-Nippes gewinnt für die von ihr vertretene Initiative `Wahlabsage´ die Bewerbung für die Förderung durch die Stiftung `moderne21´ und setzt sich damit gegen drei Mitbewerber durch. Da sie aber, gestützt durch ihre Initiative, den neoliberalen Wettbewerbsgedanken ablehnt, kündigt Frau Gökdal an, die gewonnenen Fördergelder mit ihren Mitbewerbern teilen zu wollen und stößt damit die Kuratoren von `moderne21´ zunächst vor den Kopf. Schließlich hatten die Stiftungsmitarbeiter sich erhebliche Mühe gegeben, sich zwischen den vier Bewerbern zu entscheiden. Ob der Ankündigung tatsächlich entsprechende Überweisungen folgten, ist noch unbekannt.
Dennoch hat mittlerweile offenbar auch bei `moderne21´ ein Umdenken eingesetzt, wie Kuratorin Schmidt-Peters kürzlich andeutete: `Wenn wir das Ziel der Vielfalt ernsthaft verfolgen, machen wir uns unglaubwürdig, wenn wir auf dem Weg dorthin potentielle Mitstreiter ausgrenzen oder im Regen stehen lassen. Dies muss künftig vermieden werden.´ Der sozialen Inklusion auf diese Weise das Wort redend, gibt die Politikplattform einen neuen, fortschrittlich anmutenden Weg vor, von dem sich bereits jetzt abzeichnet, dass andere Stiftungen ihm über kurz oder lang folgen werden.
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GRUNDSÄTZE
Die Stiftung `moderne21´
Nachfolgend ein paar zusammenfassende Worte über die überparteiliche Stiftung `moderne21´ und ihr Selbstverständnis: Die Stiftung geht davon aus, dass wenn Bürger der Bundesrepublik die Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kritisieren, dies in den allermeisten Fällen ohne rationale Grundlage geschieht. Schließlich handelt es sich bei den gescholtenen Spitzenkräften fast ausnahmslos um seriöse Experten, die sich fest am Gemeinwohl orientieren.
Aber auch den Nörglern und Stänkerern will die Stiftung ein offenes Ohr und ein Forum bieten, denn sie dürfen von der Gesellschaft nicht abgeschrieben werden. Zum Glück ist Deutschland eine Republik mit Zukunft. Sein sich rapide verändernder Bevölkerungsaufbau und die daraus resultierenden großen Umbrüche werden von weitsichtigen Bürgern heute bereits als Chance begriffen. Als für die allgemeine Lebensqualität besonders vorteilhaft erweisen sich zudem die weitreichenden Aktivitäten des Sozialstaats. Dessen hochspezialisierte Beschäftigte haben ein großes Interesse an der Sicherheit und Zufriedenheit der Bevölkerung. Dennoch sind sie bestrebt, ihre Bemühungen lieber heute als morgen überflüssig zu machen. Aus der wachsenden Präsenz des Staates im Leben der Menschen resultiert ein Mentalitätswandel, der Optimismus und Zuversicht in die Zukunft fördert.
Die Stiftung `moderne21´ und ihre zum Teil ehrenamtlich helfenden Mitarbeiter bringen sich mit Geld, Zeit und Eigeninitiative für das Gemeinwohl ein. Sie wollen Politiker, Ökonomen und Medienschaffende bei der Verarbeitung der Folgen gesellschaftlichen Wandels mit Hilfe eigener Impulse und Aktivitäten zur Seite stehen. Genau wie alle seriösen politischen Kräfte steht die `moderne21´-Stiftung dem aktuellen Raubtierkapitalismus ebenso skeptisch gegenüber wie ihr gleichzeitig der Ausbau der Gerechtigkeit und die Bekämpfung der allgegenwärtigen Armut am Herzen liegt. Sie suchen den Dialog mit den Mächtigen und gehen auf diese zu, um sie im Geiste der Brüderlichkeit und der Solidarität umarmen.
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Anmerkung:
Uns alle interessiert die Frage: Kann die Bundestagswahl mit Mitteln des Mediums `Hörspiel´ noch kippen oder zumindest deren Ergebnis umgekrempelt werden ? Es wäre den engagierten Politaktivisten, die in diesem Fall verantwortlich zeichnen, wirklich von Herzen zu gönnen.
Dies ist definitiv kein Hörspiel, das darauf abzielt, Zuhörer, Bürger dazu zu bringen, alle Parteien auf ihrem Wahlzettel durchzustreichen und stattdessen `moderne21´ draufzuschreiben. Das wäre unprofessionell und würde zudem etwas infantil anmuten. Auch wenn es natürlich eine sehr schöne und ermutigende Geste in Richtung der vier zivilgesellschaftlichen Initiativen unter dem Dach von `moderne21´ wäre. Deren Aktivisten hätten schon lange etwas mehr Zuspruch verdient. Aber dennoch soll an dieser Stelle keinesfalls für solch ein Verhalten geworben werden.
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