HÖRSPIEL-SCRIPT
Getrübte Einigkeit
(Teil I - II - III - IV - V - VI - VII - VIII - IX - X)
"Vertrauen ist gut, Konsum ist besser"
ARNO Das ist ja
wirklich ganz erbärmlich ! Ein Land, in dem sogar schon die
Künstler,
die schließlich fast in allen Industrienationen eine Sonder-
stellung
innehaben, zu Skrupeln neigen, muss ja wohl schon richtig
schlimm
vom liberalen Zeitgeist verunstaltet sein.
Da
kriegt man doch Zustände, wenn man sowas hört !
LINDA Manchmal
meine ich direkt, die Grenzen des Wohlstandsgefälles
könnten
sich verschieben, und zwar zu unseren Ungunsten.
RICHARD Damit muss
man jederzeit rechnen.
LINDA Das
beunruhigt mich wirklich ! Kann man dagegen nicht irgendwelche
Vorkehrungen
treffen ?
DORIS Wohl kaum.
ARNO So sehr haben
Sie sich schon an Ihre Privilegien gewöhnt, Linda ?
LINDA Ja, schon.
DORIS Jetzt hat
Arno ja wieder was gefunden, wo er sich aufspielen kann !
ARNO Ich will
Ihnen etwas sagen: Wenn Sie wirklich unabhängig sein wollen,
müssen
Sie in der Lage sein, jederzeit auf Ihren Wohlstand zu ver-
zichten;
Zumindest auf einen Teil davon.
Nur
mal aus Interesse: Fällt von Ihnen jemandem etwas ein, was er,
wenn
er die Dinge einmal auf den Prüfstand der Sinnfälligkeit
stellt,
eigentlich
gar nicht benötigt ?
DORIS Ja, mein
Urlaub im Frühling mit Peter in Irland: Auf den hätte ich
glatt
verzichten
können, ich meine auf Peter.
Was
ursprünglich dazu gedacht war, eine Beziehung zu festigen, ent-
puppte
sich schnell als Versuch, neue Abhängigkeiten zu schaffen,
nachdem
die alten langsam ihre Wirkung verloren hatten.
LINDA Ist ja
interessant !
DORIS Also, von der
landschaftlichen Schönheit hatte ich jedenfalls nicht
soviel
als ich ihm erklären musste, dass ich zugunsten
seiner, in meinen
Augen
moralisch fragwürdigen Tätigkeit als leitender Angestellter
einer
Großbank
und zwecks Gründung einer Kleinfamilie nicht bereit wäre,
meine
Arbeit in der Beratungsstelle für die Opfer allzu
emotionalisierter
Rechtsprechung
bei Eigentumsdelikten aufzugeben.
Das führte dann natürlich
zwangsweise zur Beendigung unserer Beziehung.
Nur
gut, dass die Zimmer in der Pension dicke Wände hatten !
Das war
so
eine richtig urig umgebaute irische Kate, wissen Sie ?
RICHARD Ich finde, das
hast du richtig gemacht, dich von deinem Freund zu
trennen,
Doris. Als ob es etwas Wichtigeres geben könnte als in einem
Land,
in dem Eigentum das höchste Gut darstellt, die armen Schweine,
die
an seiner scheinbar ungerechten Aufteilung zu rütteln versuchen,
vor
der
gnadenlosen Verfolgung
der
hiesigen Justiz
in Schutz
zu
nehmen
!
ARNO Die ist ja
wirklich nahezu unerträglich, deine Klassenkampfrhetorik,
Richard
! Die hast du wohl von Doris übernommen ! Darüber müssen
wir
uns irgendwann noch einmal in Ruhe unterhalten.
Und
überhaupt, Doris: Das wollen Sie uns als Verzicht
verkaufen ?
Haben
Sie durch Ihre zugegebenermaßen emanzipierte Entscheidung
und
die daraus resultierende Trennung von Ihrem Freund damals nicht
eigentlich
nur Ihre Freiheit zurückgewonnen, auf dem Markt der ein-
samen
Herzen Ihr Fleisch erneut mit gutem Gewissen zwecks Kontakt-
aufnahme
zur Schau tragen zu können ?
Bei
Ihrer Ausstattung doch mit Sicherheit ein Lustgewinn für Sie !
DORIS Sie haben
recht, das hatte ich nicht bedacht. Natürlich war es ein
Gewinn
! Ich kann Ihnen sagen: Prickelnd, wenn man es versteht, die
One-Night-Stands,
neben denen man morgens aufwacht und deren
Namen
man möglichst bald wieder vergessen möchte, zu verdrängen.
Hoppla,
das sind jetzt aber eigentlich sehr intime Details aus meinem
Privatleben
!
LINDA Das haben
Sie ja wirklich früh gemerkt !
DORIS Sie hätten
mir ja mal was sagen können ! Sie sind doch sonst auch
nicht
so zurückhaltend !
ARNO Vor uns
brauchen Sie nun aber doch keine Hemmungen zu haben
!
DORIS Na, ob ich
Ihnen wirklich so ohne weiteres trauen kann ?
ARNO als VERKÄUFER
Doris als KUNDIN
Linda als 2.
KUNDIN
Einige
Stimmen und Kaufhausmusik im Hintergrund.
KUNDIN Diese Bluse,
was kostet die bitte ?
VERKÄUFER Achtundneunzig.
Wenn Sie allerdings noch das passende Auftreten
dazu
kaufen wollen, wird es teurer.
KUNDIN Sie ist recht
gewagt geschnitten, meinen Sie das ?
VERKÄUFER Und Sie sind
doch eigentlich keine Frau, die es nötig hat, mit vorder-
gründigen
Reizen zu spielen, habe ich nicht recht ?
KUNDIN Das erkennen
Sie ?
VERKÄUFER Merke ich doch
sofort.
KUNDIN Das nenne ich
Menschenkenntnis ! Kann ich Ihnen trauen ?
Sind
Sie diskret ?
VERKÄUFER Das
müssen sie mich doch nun eigentlich nicht mehr fragen.
KUNDIN Nein,
offensichtlich nicht.
VERKÄUFER Warum
wollen Sie
sich den Fummel also kaufen ? Dieses ordinäre Teil,
welches
Ihrem Geschmack doch nun wirklich überhaupt nicht gerecht wird.
KUNDIN Es ist nicht
etwa so, dass ich mit solch einem gefälligen Äußeren
bei
irgendeinem
Mann Eindruck schinden möchte...
VERKÄUFER Wie schade !
KUNDIN Vielmehr geht
es mir darum, mich
dazu zu überwinden, mich
aufreizend
anzuziehen.
Das bereitet mir Schwierigkeiten, wissen Sie ?
Ich
bin nämlich irgendwie sehr puritanisch.
VERKÄUFER Ein
puritanisches Mädchen !
KUNDIN Wollen Sie
sich doch über mich lustig machen ?
VERKÄUFER Das ist jetzt,
wo es aus Ihnen ´raus ist, wohl gar nicht mehr nötig.
Das
ergibt sich sozusagen von selber.
KUNDIN Sie haben mich
´reingelegt !
VERKÄUFER Es sieht ganz
danach aus. Und zu Ihrem kleinen Problem kann ich nur
sagen:
Es soll
da ganz
ausgezeichnete Ärzte
geben, die
sich auf diesen Gebieten auskennen. Vielleicht ist es bei
Ihnen ja noch nicht zu spät.
KUNDIN Wie kann man
jemanden wie Sie nur als Verkäufer auf die Leute los-
lassen
?
VERKÄUFER Nehmen Sie es
mir bitte nicht übel: Aber die Frage ist mir jetzt zu
viktimologistisch.
Pause.
KUNDIN Meine Frage,
wie man jemanden wie Sie nur auf ahnungslose Kunden
loslassen
kann, ist Ihnen zu viktimologistisch ?
VERKÄUFER Das habe ich
eben gesagt, ja.
KUNDIN Und was meinen
Sie bitte damit ?
VERKÄUFER Hören
Sie: Sie haben sich für eine Kundin ein bißchen zu
gutgläubig
angestellt
und ich habe mir deshalb einen kleinen Spaß mit Ihnen er-
laubt,
O.K. ? Sie könnten ja jetzt daraus gelernt haben, dass Sie
beim
nächsten
Mal einfach etwas vorsichtiger sind, wenn Ihnen ein Fremder
vertraulich
kommt. Können wir uns darauf einigen ?
2. KUNDIN Ist Ihnen der
Verkäufer dumm gekommen ?
KUNDIN Wie bitte ?
2. KUNDIN Ist er pampig
geworden ? Entschuldigen Sie: Aber so hörte sich das
eben
an.
VERKÄUFER Was geht Sie
denn das an ?
KUNDIN Oh, nein, nein
! Nett, dass Sie fragen ! Aber dieser Herr hat mich ganz im
Gegenteil sehr zuvorkommend bedient. Wirklich !
2. KUNDIN Na, dann !
VERKÄUFER Was haben Sie
da eben gesagt ? Zuvorkommend ?
KUNDIN Wir
haben uns
richtig nett
unterhalten. Hat
man das
nicht sehen
können?
2. KUNDIN zweifelnd:
Ach ja ?
VERKÄUFER Nun treiben
Sie es mal nicht auf die Spitze ! Ich war ja vorhin noch
höflich,
aber wissen Sie was: So absolut unsichere Frauen wie Sie
machen
mich krank.
KUNDIN Er hat gleich
gemerkt, dass ich eine ungewöhnliche Kundin bin. Das
war
doch sehr einfühlsam von ihm, nicht ?
VERKÄUFER Diese
unscheinbare Tussi will Charakter zeigen
! Was sagt man
dazu?
KUNDIN Sofort hat er
es gemerkt.
2. KUNDIN Entschuldigen
Sie mal: Das hört sich aber irgendwie nicht nach einer
harmlosen
Unterhaltung an.
VERKÄUFER Sie kommen
sich jetzt wohl mächtig
schlau vor,
was ? Denken wohl,
Sie
können
noch Ihr
Gesicht wahren, wenn
Sie hier so eine Show abziehen.
KUNDIN Er hat mir
vorhin gesagt, ich hätte es gar nicht nötig, so eine
aufrei-
zende
Bluse zu tragen. Das war doch nett von ihm !
2. KUNDIN Beruhigen
Sie sich !
Wir holen jetzt den
Geschäftsführer. Kommen
Sie !
KUNDIN Er war erst so
nett !
Pause.
VERKÄUFER So eine
Enttäuschung !
Download der Hörspiel-Vertonung von 1994/95: Download
(Autorenproduktion)